Wie immer am 5. fragt Frau Brüllen, was man denn so den ganzen Tag getrieben hat.
Der Tag fing bei uns um Mitternacht an. Ich wollte eigentlich früh schlafen gehen, doch dann diskutierten wir uns über der Nachricht fest, dass die Buchhandlung Ocelot Insolvenz angemeldet hat. Das verlinkte Interview ist … nun ja. Da ist Häme überhaupt nicht angebracht, es ist hart, wenn eine ganze Branche auf ein eigenwilliges, risikofreudiges, wenn nicht gar naives Konzept seine Aufmerksamkeit, Erwartungen und Projektionen richtet und es geht schief. Ansonsten wäre es einfach nur wieder einer dieser Hipster-Läden gewesen, die schließen, wenn der Inhaberschaft nach ein bis zwei Jahren Lust und Geld ausgeht. Das ist hier in der Umgebung der Regelfall, nicht die Ausnahme.
Ich war, obwohl ich drei- oder viermal in der Woche bei Ocelot vorbei laufe, nur einmal vor sechs Wochen zu einer Lesung drinnen, weil mich der Graf reingeschleppt hat. War irgendwie nett, aber die Bücher, die ich in den Regalen sah, junge deutsche Literatur an opulenten Coffeetablebooks, haben mich nur mäßig interessiert. Nett anzusehen, aber für das, was drin steht, in der Regel zu teuer. Ich habe ja auch keinen Fernseher, um mir ausschließlich „Das Debüt im Ersten“, „Das kleine Fernsehspiel“ und ab und zu Eventfilme anzusehen.
Als der Laden eröffnete, war meine erste Assoziation beim Lesen des Ladenschilds: „Ocelot, just another Bookstore – Ok., nachdem die Bedienungen und Verkäufer der Umgebung überwiegend englisch sprechen, jetzt auch eine englischsprachige Buchhandlung, das ist folgerichtig.“ Dass die Lichtgestalt des deutschen Buchhandels englisch firmiert, aber deutsche Sprache verkauft, darauf kam ich nicht.
Auch die Werbung, dass man bei ihnen Bücher online ordern könne, verstand ich nicht. Dafür gibts doch Amazon. Warum soll ich in einem Buchladen online ordern? (Der schlecht funktionierende Onlinestore war wohl auch einer der Bruchpunkte der Kalkulation.)
Aber wie gesagt, ich bin nicht die Zielgruppe. Hätte ich meinen Ehrgeiz darin gesetzt, alle Bücher zu besitzen, die ich in meinem Leben gelesen habe, wäre die nicht grade kleine Wohnung hier mit Papier ausgestopft. Deshalb habe ich mich quer durch die Regale von Leihbibliotheken gefräst: Fachbücher, Triviales, Klassik. Was ich physisch besaß, habe ich nach den schnellen fünf Umzügen in den letzten 10 Jahren verschenkt und verkauft. Ich habe nur noch ein Dutzend Lebensbücher, die ich alle paar Jahre wieder lese, die Heiner-Müller-Gesamtausgabe und ein paar Lyrikbände. Zur Zeit kommen noch antiquarische Handarbeitsbücher dazu, weil sie eine rare Informationsquelle sind. Ansonsten lese ich eBooks. Und zum Kaffeetrinken und Lesen in einen Buchladen setzen, das war noch nie meins. Es gibt nur zwei Plätze in Berlin für so etwas (aber dann ohne Kaffee): Die Staatsbibliothek wegen ihrer wunderbaren Architektur und das Ledersofa mit dem Fensterblick im dritten Stock bei Dussmann.
Ja, also, tut mir leid.
Nach dem angeregten Gespräch schliefen wir dann doch ein, aber ich schaute, dass ich nicht zu spät aufstand, um gut durch den Tag zu kommen. Es ist komfortabel, nicht mit dem Wecker aufstehen zu müssen, aber man ist dann auch selbst verantwortlich dafür, das Pensum zu schaffen.
Ich frühstückte Joghurt mit Banane und Kakifrucht und trank zwei Tassen Kaffee. Dann machte ich mich ans Pixelschubsen. Es gibt einen Provider in Deutschland, bei dem sogar ein A-Blogger hostet, bei dem habe ich den Eindruck, der will gar keine Kunden. Man kommt leider auch nicht so einfach von ihm weg… Er kriegt nämlich kaum etwas, was man von ihm als Leistung möchte und für das andere Anbieter Minuten brauchen, in Tagen und Wochen auf die Reihe. Nicht mal eine Kündigung und einen Umzug wegen ständiger Probleme.
In der Mittagspause schrieb ich kurz den Blogpost zum Mauerfall. Miene Erinnerungen wollen sich so ungern Jubiläen fügen, deshalb sammelte ich die Einträge der letzten Jahre zu diesem Thema in eine Liste. Es reicht, dass der Graf und ich wohl Bestandteil einer Fotoinstallation von deutsch-deutschen Paaren sind, die in Berlin und Hamburg gezeigt wird. Aber das will ich mir erstmal selbst ansehen.
Danach arbeitete ich einige Stunden an meinem „am Leben schrauben“-Projekt weiter. Das ist alles noch nicht erzählbar, aber ich habe endlich einen Indikator für „richtig“ oder „falsch“ akzeptiert: Wenn mir übel wird oder ich anfange zu flattern, kann ichs lassen. Es muss sich gut anfühlen. Das klingt jetzt sehr nach Befindlichkeits-Trullala. Aber für einen Menschen, der ganz gern mal losprescht und wenn es mit dem Kopf vor die Wand ist, sind das wichtige Signale, die zu ignorieren meist problematisch wird.
In der Dämmerung machte ich das Essen von gestern noch einmal warm, wir aßen Kassler mit Zwiebelconfit und Kartoffelbrei. Da gibt es einen fundamentalen Unterschied, wie ich bemerken musste. Ich mag mein Kassler lieber durchwachsen, der Graf mager. Da werde ich in Zukunft zwei Sorten mixen.
Um 18 Uhr setzte ich mich an die Strickmaschine und machte an meinem Strickmieder weiter. Es ist von diesem Modell auf Ravelry inspiriert, aber für die Einbettstrickmaschine angepaßt. Damit ist eigentlich nur noch der mittlere Streifen mit Kreuzmaschen und Löchern übrig, die ich mit der Hand setze.
Hinten gibt es Löcher zur Schnürung, wie ein Korsett. Ich bastelte ziemlich lange, weil gerade die Brustabnäher dran sind. Also habe ich gleich durchexerziert, die man am besten verkürzte Reihen macht. Demnächst will ich einen Rock und eine ausgestellte Jacke machen, dann brauche ich das auch.
Es ist schön, so lange nicht genutzte Fertigkeiten hochzuholen und zu ergänzen. Auf den kontrastfarbenen elastischen Beleg unten bin ich recht stolz. Das hat die Gebrauchsanleitung für Omas Strickmaschine früher einfach nicht hergegeben. (Aber die war auch von Indern aus dem Deutschen ins Englische und wieder zurück ins Deutsche übersetzt.)
Später saß ich noch an Schafwollsocken über einem Hörbuch. Ich höre grade den letzten Band von Harry Potter. Ich weiß gar nicht, ob ich ihn jemals gelesen habe. Ich hatte immer nur gehört, dass er der unentschlossenen Suche der Hauptfiguren so viel Raum gibt. Ich finde das grandios. Das Leben ist so, nur Heldenlegenden sparen das sehr gern aus. Unser Leben besteht sehr oft darin, indifferent rumzuspacken, bis es dann plötzlich wieder losgeht. Das ist blöd und quälend, aber gerade die Zeit der Indifferenz dient dazu, eine Lebensfeder wieder aufzuziehen und (manchmal auch unabsichtlich) Weichen zu stellen. Dass es dann Leute gibt, die das, was auf sie zukommt und für sie bestimmt ist, fliehen, vermeiden oder ablehnen, steht auf einem anderen Blatt.
Und dann war der Abend auch schon vorbei.
Die anderen Einträge sind hier zu lesen.
„Es muss sich gut anfühlen. Das klingt jetzt sehr nach Befindlichkeits-Trullala.“
Mein Grinsen bis zu meinen Ohren hätten Sie grad sehen sollen. Tatsache ist, dass die meisten Menschen durchaus über einen Instinkt verfügen, der ihnen sagt, was ihnen sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinn bekommt, was zu ihnen passt, womit sie auf eine gute Weise weiterkommen. Weshalb soviele dieser Menschen weit über die Pubertät hinaus darauf beharren, diese innere Stimme zu ignorieren und dabei regelmäßig herzhaft auf die Schnauze zu fallen (mich bis vor ungefähr zehn Jahren eingeschlossen) – keine Ahnung.
Es ist in unserer Gesellschaft eben nicht populär, auf die innerer Stimme zu hören. Stattdessen tun die meisten Menschen eher das, was „vernünftig“ ist , bzw was die Umwelt von ihnen erwartet. Oder was sie denken, was von ihnen erwartet wird. Es ist ein Entwicklungsprozeß, sich davon zu befreien und sein Bauchgefühl stärker zu gewichten.
Grandioser Satz übrigens, Frau Kitty „Unser Leben besteht sehr oft darin, indifferent rumzuspacken, bis es dann plötzlich wieder losgeht.“ :) So wahr.
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