Von der Reise zurückgekehrt. Der heutige Tag war ein Abstecher an den Ort, in dem die Urgroßeltern bis Anfang der 70er (?) einen Kurzwarenladen hatten.
Die kleine Stadt in der Lausitz hat sich gut entwickelt. Dass alles blitzeneu ist, das Trottoir, die Schilder und die öffentlichen Gebäude, ist ja Ergebnis des Aufbau Ost. Aber so langsam etablieren sich wieder funktionierende soziale Strukturen. Geschäfte und Büros, Kneipen und Eiscafés. Es gibt um den Markt herum Bäcker, Fleischer und Gemüsehändler. Der alte Taschen- und Kofferladen existiert immer noch und das Spirituosen- und Kolonialwarengeschäft geht mit einem beeindruckend diversen Angebot ins 200. Jahr. Der Enkel des Goldschmieds, aus dessen Modeschmuckabteilung ich einige schöne Erbstücke in der Schatulle habe, ist in das Ladengeschäft zurück gezogen. Der Großvater saß zu DDR-Zeiten im ersten Stock, weil seinen Laden der Konsum brauchte.
Das Städtchen hat an einem sonnigen Tag fast etwas italienisches. Große Portale mit Steinmetzarbeiten, steinerne Fensterstürze, enge Gassen mit Häuschen voller Blumenkästen, Gärtchen und Remisen. Angenehm.
Das Haus der Urgroßeltern, in dem sie nur Mieter waren – die Besitzerin, deren Mann im ersten Weltkrieg gefallen war, überließ ihnen den Laden und den größten Teil der Wohnfläche – ist allerdings in einem betrauernswerten Zustand. Es ist um 1815 gebaut, ein kleines, klasszistisches Stadthaus in Marktnähe, mit dicken Mauern, einem stollenartigen Keller, einem Granit-Treppenhaus und einem zweistöckigen Lager-Dachboden. Der Garten zieht sich lang in den Block hinein und in ihm standen dereinst zwei riesige, uralte Kirschbäume. Den ersten und zweiten Weltkrieg hat es überlebt. Die Zeit der DDR (als die Witwe es an die Wohnungswirtschaft wegschenkte, weil die Mieteinnahmen nicht den Unterhalt des Hauses deckten) auch so einigermaßen. Die letzten 25 Jahre haben ihm den Todesstoß gegeben. Ich hatte es 2001 noch einmal besichtigt, weil ich überlegt hatte, es zu kaufen. Ich wollte in das Städtchen ziehen und ein neues Business aufmachen. (Schon damals war ich meines Jobs müde.)
Ich weiß nicht, was sich der Chef der Wohnungswirtschaft dachte, als er über 100.000 Euro aufrief. Der Boden sei so viel wert und der größte Teil des Ensembles um das alte Brauhaus hinter dem Altmarkt sei denkmalgeschützt. Man habe hier nichts zu verschenken. Das Haus stand damals, bis auf eine vermietete Wohnung, schon seit Jahren leer. Im Seitenflügel wusch der Regen, der die Wand hinunterlief, schon den Lehmputz weg.
Ich verabschiedete mich angesichts des Preises sehr schnell von dem Gedanken.
Dann kamen ein Käufer, der wohl nicht einschätzen konnte, was ihn erwartete und ein geplatztes Wasserrohr, das monatelang unbemerkt blieb. Wenn man ins Schaufenster des Ladens schaut, sieht man Stempel, die Wände und Decken vor dem Einsturz bewahren.
Der Besitzer, der in Italien sitzt, möchte gern und bald verkaufen, aber seine Vorstellungen, was er bekommen könnte, seien wohl eher von Preisen des Münchner Immobilienmarktes geprägt, sagt man uns. Ja, es müsse etwas passieren, das alte Häuserensemble im Straßenzug hänge zusammen und das immer mehr zusammenrutschende Haus schädige die Nebenhäuser, die immer in Privatbesitz geblieben waren.
Es ist zum Heulen. Selbst wenn man den Herrn in Italien zu einem realistischen, sehr niedrigen Preis bekehren könnte, das ist nur was für Architekten oder Bauingenieure.
Wenn dieser Mensch mir vor 15 Jahren den Preis gemacht hätte, der heute durch den Raum flog, hätten sie heute dort keine halbe Ruine stehen.