Die zweite große Razzia seit Anfang der Woche, einmal gegen Familien-Gangs und dann gegen das Rotlichtmillieu. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da ein Innensenator, der von seiner Partei zum Bürgermeisterkandidaten aufgestellt wurde, effektvoll öffentlich punkten will.
Als wir das heute diskutierten, ging es unter anderem darum, ob Clan-Kriminalität, die nicht wie die Mafia die Verwaltung infiltriert, eigentlich die Bevölkerung schädige bzw. betrifft (mal abgesehen davon, wenn einer der Jungs mal wieder bedröhnt mit dem Auto unterwegs ist und jemanden umfährt). – Oder ob das eine ansonsten moderner organisierte Gesellschaft aussitzen könne, bis die Großfamilienstrukturen in der Moderne innerhalb einiger Generationen auseinanderbröseln.
Sozialbetrug und Steuererhinterziehung fallen wahrscheinlich nicht in dem Maße ins Gewicht, dass es die öffentlichen Finanzen nachhaltig schädigt. Drogenkriminalität bleibt innerhalb der Blase von Konsumenten und Dealern. Schutzgelderpressung betrifft meist andere Familienverbände/Strukturen, die ihre Dinge ebenfalls lieber unter sich regeln. Betrug und großangelegter Diebstahl betrifft Unternehmen, die das mit Versicherungen abfangen.
Ich sehe das nicht so gelassen und bin eher Anhängerin der Broken-Windows-Theorie. Was für ein Vorbild sind die Söhne solcher Clans für junge Leute aus einfachen Verhältnissen? Menschen, die sich mit Mühe durch eine Ausbildung quälen, für wenig Geld arbeiten oder vom Amt schikaniert werden, bei ein paar Mal Schwarzfahren im Knast landen können und schneller in Privatinsolvenz sind, als sie ihren kleinen kreditfinanzierten Luxus genießen können. Dagegen diese Typen mit ihren aufgepumpten Körpern, schnellen Autos und Teilzeitbegleiterinnen. (Mir sagte mal jemand ganz empathisch über einen von denen: „Hör mal, der war mit 19 Millionär. Der kann mit 30 doch nicht arbeiten gehen, wenn es mal schlechter läuft!“ Überhaupt ist arbeiten in der Szene ziemlich bäh. Man lässt arbeiten.)
Wer das toleriert, zeigt Leuten, die sich noch nicht richtig gefunden haben, dass sich die Mühe, ein gutes, faires Leben zu führen, nicht lohnt. Es gibt noch eine Menge anderer Argumente, warum Toleranz zwar funktionieren könnte, aber wiederum Kollateralschäden hinterläßt.
Egal, es ging zuerst im die Frage, was organisierte Kriminalität die Berliner Bürgerin anficht, die eher Probleme mit Diebinnen und Gewalttäterinnen bekommen könnte und sich sicher im Straßenverkehr bewegen möchte (vor allem mit dem Fahrrad). Aber mit 200 Leuten irgendwo einreiten und ein paar Verdächtige verhaften gibt natürlich die bessere Pressemeldung.
Ich bin gespannt, was als nächstes dran ist.
Ach, wär das schön: „Schutzgelderpressung betrifft meist andere Familienverbände/Strukturen, die ihre Dinge ebenfalls lieber unter sich regeln. Betrug und großangelegter Diebstahl betrifft Unternehmen, die das mit Versicherungen abfangen.“ – erstens ist das falsch (Schutzgeld wird auch und gerade von kleinen (Dönerbuden, Restaurants, Einzelhandel, Prostituierten) erpresst) und zweitens müsste diese Begründung dann auch bei aller anderen Kriminalität und Verstößen gegen das Gesetz gelten. Wie will man das abgrenzen?
Straßenstrich und Zwangsprostitution betreffen die Bevölkerung auch nicht – ich finde, man könnte einfach insgesamt nichts mehr verfolgen. Gut, dass ich bei der Diskussion nicht dabei war….
Genau das ist es, was ich an den Argumenten nicht gut finde. Dass die Polizei sich praktisch nur in Bewegung setzen sollte, wenn es um scharf abgegrenztes Verbrechen gegen den alteingesessenen (Biodeutschen)-Bürger geht. Klar ist die Zone von hier kulturell nicht heimischen oder in schwierigen Verhältnissen lebenden Leuten für die Polizei nicht angenehm. – Und das ist es ja grade, was den Club- oder Dönerbudenbesitzer so angreifbar für Schutzgelderpressungen macht – Verstrickungen und Machtverhältnisse, die schwer erklärbar sind und eine Polizei, die nur die Schultern zuckt. Wozu zur Polizei gehen, wenn nichts oder durch ihre Ermittlungen alles nur noch gefährlicher macht.
Na ja, Sozialbetrug fällt schon ins Gewicht, vor allem, wenn man das in großem Stile betreibt wie jener russische Pflegedienst in Berlin (da war auch eine Razzia), der die Krankenkassen und Pflegeversicherung um eine Million Euro betrogen haben soll. Zumal das ja nicht der einzige ambulante Pflegedienst zu sein scheint, der die Krankenkassen und Pflegeversicherung abzockt, da geht es um Milliarden. Ich finde nicht, dass man das gemütlich aussitzen kann.
Ach so, nein, so was hatte ich da gar nicht im Auge. Ich meinte eher die Leute in den Großfamilien, die Stütze beziehen und den Luxusmercedes für mehr als hunderttausend vor der Tür stehen haben.