Als sich nach dem Fall der Mauer der Staub wieder gelegt hatte und ich weitere Pläne machte, distanzierte ich mich von denen, die jammernd im Osten saßen und nach der Wahnsinn-Euphorie neu anfangen mussten. Ich war anders, ich hatte es durchschaut, ich konnte Kapitalismus. Heute nenne ich es Überanpassung. Ein Lebensmotiv, das sich durch meine Existenz zieht, ich habe das erst spät erkannt.
Heute merke ich, wie fremd ich vielen bin, denen ich mich nahe glaubte. Es ist ein Unterschied, eine westdeutsche oder ostdeutsche Provinzkindheit erlebt zu haben, auch wenn man sich in der Metropole trifft und eine Sprache spricht.
Ich kann Soboczynski hier nicht in allem folgen, weil ich nie zur kleinbürgerlichen Welt der Obrigkeitsuntergeordneten gehört habe. Ich habe an Internationalismus und Solidarität geglaubt. Wenn auch der Internationalismus eher etwas mentales war, das rote Band der Ideologie, das sich durch die Welt und über oft unüberwindliche Ländergrenzen zog. Aber er hat recht, wenn er sagt, dass im Osten keiner mehr einen Pfifferling auf Menschheitsbeglückungsutopien gibt.
Es gab (…) den neuen, den antirassistischen und antifaschistischen Menschen nicht, trotz jahrzehntelanger Propaganda und Erziehung.
Mir sind besorgte Bürger fremd. Veränderungen aufzuhalten hat noch nie etwas gebracht. Für Dummköpfe und Idioten halte ich sie trotzdem nicht. Ich sehe noch andere Dinge, wenn ich Sachsen oder Erzgebirgler auf der Straße sehe. Es scheinen die zu sein, die vor 25 Jahren mit klammen Gefühlen dageblieben waren, die aus ihrer Perspektive der Herrschaft des Geldes nicht strahlend in die Arme gelaufen sind. Die, wenn sie sich in der Probezeit im neuen Job mit Grippe krank melden, damit rechnen müssen, am Nachmittag des gleichen Tages eine Kündigung im Briefkasten zu haben. (Aber das ist eine andere Geschichte.)
Wenn die Filmemacherin Réka Kincses erzählt, finde ich mich wieder. In den Fahrten durch Polen sehe ich in manchen Gegenden die blühenden Landschaften aus Kohls Versprechung. Arbeit, Vollbeschäftigung, kleines Wirtschaftswunder. Aber der Preis der dafür bezahlt wurde, was sehr hoch. Ich wäre heute eine verbrauchte Frau mit schlechten Zähnen, die akkurat auf den äußeren Schick achtet, wäre ich als Polin in den 60er Jahren geboren. Die Generation, die nichts geschenkt bekam. Die Ostdeutschen durften eine andere Tür nehmen und diesen Kredit zahlen sie noch heute ab.
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