Am nächsten Morgen hatte jeder im stillen Kämmerlein seinen Beitrag zu einer besseren Organisation des nächsten Tages ausgearbeitet. Es gab abends Karten für ein Vivaldi-Konzert in einer Kirche, es gab eine Sightseeing-Route, eine Ausstellungsbesichtigung, die Besichtigung der Oper und eingestreut der tägliche Kaffeehausbreak und ein Essen in einem guten Restaurant. Es schien sogar ab und zu die Sonne! Ich vermute, vor allem, weil ich den ganzen Tag meinen Regenschirm mit mir herumtrug. Die
Matthiaskirche und die Stephans-Basilika lohnen sich anzusehen. Die erstere, weil sie einen Eindruck gibt, wie die Wände der Kirchen früher sehr oft bemalt waren, dicht und üppig. Die zweite, weil sie so größenwahnsinnig schön ist, es ist der pure rotgoldene Protz und es ist gut proportioniert und elegant. Allerdings habe ich den Eindruck, daß Gott in diesen Kirchen nur in touristenfreien Zeiten wohnt. Telefonierende Italiener, Chinesen, die sich auf dem Pult vorm Altar mit segnender Geste fotografieren lassen, mit Respekt vor Religion hat das nichts mehr zu tun.
Den Touriherden zum Trotz, ist der Altar der Heiligen Rita, der Patronin für aussichtslose Angelegenheiten, von Betenden stark frequentiert.
Die Opernbesichtigung war realsozialitisches Deja-vu und Touristen-Nepp in einem. Wir wären nie auf die Idee gekommen, denn eigentlich wollten wir in eine Vorstellung gehen, aber es war noch Sommerpause. Und so standen wir zunächst geduldig 40 Minuten Schlange. Das war wenig, hinter uns standen mindestens noch 200 Leute an. Das Ticket hatte den Preis einer halben Opernkarte. Für diesen Betrag führten uns nette Studentinnen (wahrscheinlich für ein Taschengeld und eine Praktikumsbescheinigung) in verschiedenen Sprachen im Schweinsgalopp durch das Haus. Mitunter waren drei Gruppen in einem Raum und moderierten parallel deutsch, französisch und englisch. Mit uns in der deutschen Gruppe waren wieder einige alte Damen mit schier unverständlichem Dialekt und eine Gruppe von Jungs in Krachledernen und Janker. Wir wechselten dann unauffällig zur englischen Gruppe, die hatte entschieden mehr Humor.
Als wir das überstanden hatten (das Opernhaus ist wirklich sehr schön!), kehrten wir in einen Laden ein, den HeMan am Tag zuvor entdeckt hatte: Das Klassz. Ein schön gestalteter Raum mit scheinbar selbst gemalten Tapeten, eine Karte mit neu interpretierter ungarischer Küche, gutes Geschirr und Glas, gutes Besteck und jede Menge Wein. Der Tresen selbst ist aus gestapelten Weinkartons improvisiert. Da wir weiter wollten, aßen wir nichts, was ich wirklich bedauerte, allein die Gerüche der vorbeischwebenden Teller… Dazu wirklich coole Leute an den Nebentischen. Wir plauderten, als wir durch die Fenster sahen, daß die Polizisten, die wir den ganzen Tag schon herdenweise in der Gegend gesehen hatten, die Straße absperrten: Eine Demonstration der Nationalisten. Wenn ich es aus anderen Gesprächen richtig verstanden hatte, ging es gegen die ungeheure Korruption auf Stadt- und Regierungsebene.
Dann passierte erst mal nichts, außer daß die eine oder andere Glatze verlegen den Gehweg langlief. Ich witzelte rum, daß das wohl sei wie in Deutschland, auf jede Glatze 10 Polizisten, doch dann kamen sie. Ein schwarzer Block. Junge Typen mit Springerstiefeln, aber auch sehr viele wütende Menschen im mittleren Alter, denen man ansah, daß es ihnen nicht besonders gut ging. Es mögen 1000 gewesen sein oder mehr, mit Fahnen und Transparenten, mittendrin der LKW eines Radiosenders.
Als der Spuk vorbei war, wollten wir zu der Kirche laufen, in der das Konzert stattfand. Dafür hätten wir mitten durch die Demonstration gemußt. Uns kamen Leute entgegen, die meinten, das sollten wir lassen, die Polizei hätte weiter hinten Tränengas eingesetzt.
HeMan meinte, komm, wir laufen drumherum, ich frag den Polizisten, der gerade wieder in den Streifenwagen steigen will. Der Polizist stieg aus, wies uns kurz angebunden den Weg und sprang wieder in den anfahrenden Wagen. Ich dachte: So ein Idiot, will der Feierabend machen oder was? Dann machte es über unseren Köpfen wuschhhh und es wurde heiß. Eine Sekunde später schlug ein Molotow-Cocktail zwischen dem flüchtenden Polizeiauto und HeMan ein. Hinter unserem Rücken war der unternehmungslustige Teil der Demo wieder auf uns zugekommen und riß Better aus einem Baugerüst. Wir verschwanden schnell in einer Seitenstraße. Der englische Freund war nirgendwo zu sehen. Er hatte zwar meine Telefonnummer im Handy gespeichert, ich aber nicht seine und HeMans Handy lag im Hotel…
Wir beschlossen in einem großen Bogen zu der Kirche zu gehen. Vielleicht kam der englische Freund auf dieselbe Idee oder er meldete sich bei mir. Was er zu unserer Erleichterung nach 10 Minuten auch tat. Er war ins Restaurant zurück geflüchtet und mußte abwarten, bis die Randale vorbei war. Aber der 1. Mai in Kreuzberg ist meistens schlimmer. Ganz am Rande bemerkt wunderte mich das jegliche Fehlen linken Gegenprotestes unter tatkräftiger Teilnahme autonomer Gruppen… das scheint eine deutsche Spezialität zu sein.
Wir schafften es gerade noch ins Konzert und hatten Zeit bei Nisi Dominus über das Erlebte nachzudenken. Vor uns saß eine Mutter mit einem Baby, das sich während der 1 1/2 Sunden nicht muckste und sich sehr wohl fühlte. Eine gute Alternative zu Pekip: Kirchenkonzerte.
… Fortsetzung folgt
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:)
in den meisten fällen ist ja das „ich berichte auf meinem blog von meinem urlaub“ das äqquivalent zur dia show mit käseigel und salzstangen. aber durch die drei installments bin ich hindurchgeflogen und freu mich auf die fortsetzung!
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auf bilder wollte ich verzichten. unsere sind abstufungen von grautönen und ich muß diesen schräge urlaub auch erstmal selbst verarbeiten.
Frau Kitty, ich hätte eine Bitte: Könnten Sie mir bitte aus Ungarn den (vom Wert her) kleinsten ungarischen Geldschein mitbringen, möglichst bankfrisch? Ich bin doch Geldscheinsammler und Ungarn fehlt mir noch …
Im Voraus schonmal besten Dank. :)
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geht leider nicht, ich bin schon wieder da!
Wir wechselten dann unauffällig zur englischen Gruppe, die hatte entschieden mehr Humor.
So ein hübscher Satz an einem so verregneten Tag! lol
mal abgesehen von dem plötzlichen dramazuwachs im erzählflow, den ein schwarzer block so einer erzählung zu bieten hat, ist mein lieblingsteil die Heilige Rita! Die Patronin aussichtsloser Angelegenheiten! ich bin verliebt!