Transparenz

Da Kleinerdrei nicht willens oder in der Lage war, einen Kommentar von mir zu veröffentlichen, veröffentliche ich ihn hier.
Man hatte im Artikel über Dark Twitter gefragt, wie es andere mit verdeckten Accounts halten und ich habe geantwortet.

Was mich betrifft, habe ich eine klare Direktive: Ich stehe zu dem, was ich öffentlich kommuniziere. Wenn ich eine öffentliche Plattform wie Twitter (zumindest ist Twitter so gedacht) benutze, wo meine Statements einsehbar sind, habe ich eine Verantwortung für das, was ich von mir gebe und habe auch die ggf. langfristigen Konsequenzen von Äußerungen zu tragen. Das hat was mit Rückgrat zu tun, mit Respekt vor anderen und mit Achtung vor mir selbst.
Daher habe ich keinen Zweitaccount und wüsste auch nicht, wozu ich einen brauchte.
Ich habe einmal erlebt, dass eine Twitterin in der Öffentlichkeit jemanden wegen einer politisch unkorrekten Kommunikationsform maßregelte (also blockte) und auf dem Zweitaccount, dem ich auch folge, meinte: „Hihi, nicht dass ich so was selbst auch oft so sagen würde.“
Das reichte mir zum Thema Kommunikation über offene und geschlossene Accounts. Das ist nicht meine Welt und auch keine in der ich leben möchte.
Dass Kommunikation auf Twitter in den Schatten fallen wird, weil Menschen in kleinen Zirkeln wieder frei miteinander reden wollen darüber habe ich schon vor einem reichlichen Jahr in meinem Blog geschrieben. Siehe da, es ist passiert.

Der gesamte Kommentarstrang unter dem Artikel ist in Hinsicht auf „wir bleiben lieber unter uns“ interessant. Da wird nach den Erfahrungen der Leser gefragt, aber jede Äußerung dieser Erfahrungen wird auf sich selbst projiziert. Ich verstehe, dass mit dieser Empfindlichkeit das starke Bedürfnis einhergeht, eine empathische Filterblase zu schaffen.
Dazu passt der Post, in dem Benjamin Birkenhake über Viktorianismus und Biedermeier schreibt.
Der Viktorianismus regelte rigide das Intime in den öffentlichen Beziehungen. Das Biedermeier (als deutsche Strömung) zog sich gleich ins Private, in enge Zirkel zurück.

Ein sehr interessanter Prozess.

9 Gedanken zu „Transparenz

  1. du hast einen schönen ansatz! mir fehlt dazu zugegebenermaßen der mut. wobei, nein, stimmt nicht ganz. mein ansatz ist ein deutlich anderer.
    ich habe twitter vor ziemlich genau 4 jahren zu nutzen begonnen. da musste ich mit den heftigen bewegungen meiner seele irgendwo hin, die bis dato vorhandenen anlaufstellen waren mir aber aus verschiedenen gründen verwehrt.
    zunächst war mein twitterkonto auch öffentlich. wegen des ewigen gejammers und der drölfzig „emotweets“ hatte ich sehr wenige follower (das war durchaus so gewollt). als aber der eine auslöser meiner seelenpein anfing, mir hinterherzulesen (und mich deswegen auch zu beschimpfen), schützte ich mein konto. zunächst zeitweilig, und als er mich deswegen auch verspottete und/oder beschimpfte, dann dauerhaft.
    twitter ist für mich eine schnelle möglichkeit, einen gedanken loszuwerden, den ich so durchaus auch „in der öffentlichkeit“ äußern würde. aber ich sage im leben 1.0 auch nicht alles in anwesenheit aller – und daher schütze ich mein konto.

    • das finde ich völlig legitim. Es gibt eine Menge Menschen, die das so tun. nicht jede/r hat freundlich gesonnene kollegen oder ex-freunde.
      an dem artikel ist bemerkenswert, dass leute, die sich zeitweise massiv auf twitter als meinungsmacher_innen profilierten, hochemotionale öffentliche diskurse fuhren und gesinnungstheater präferierten, sich nun zurückzuziehen (aber darüber nun wiederum die klappe nicht halten können, denn ein bisschen aufmerksamkeit brauchts halt).
      das könnte in diesem fall heißen, dass man sich in eine ecke laviert hat, aus der man nicht mehr rauskommt.
      nie wieder über die mädels von GNTM ablästern zu können, ist schon scheiße.
      puritanismus und bigotterie gehen halt hand in hand.
      man könnte auch ein chatprogramm nutzen. aber dann wäre der voyeuristische effekt weg, das geht nur mit der existenz der anderen. das, was in dem artikel besprochen wird, ist klassisches othering.

  2. Ich habe den Artikel auch gelesen und war, vorsichtig gesagt, geschockt.
    Das lag aber an meiner naiven Annahme das Twitter das lustige Weing-Wort-Portal ist, über das ich mich bei den Twitterlieblingen diverser Blog immer amüsiere. Ja, manchmal bin ich wohl sehr blauäugig…..
    Ich habe dann kurz daran gedacht bei Kleinerdrei zu kommentieren, war dann aber blitzschnell bei der Erkenntnis, wenn ich mich dort als Nichttwitternutzer oute wird mein Kommentar, der dann auch noch kritsch zum Artikel steht, sicher nicht ernst genommen, weil ‚eh keine Ahnung‘.
    Aber gut zu wissen das Ihnen dieser Artikel auch quer liegt. *bin ich doch nicht ganz so ein Dino wie es sich manchmal anfühlt*

    • es gibt ja gott sei dank die möglichkeit, sich seine timeline selbst zusammenzubauen. nicht überall ist es so aufgeheizt und aggressiv. es gibt genug entspannte leute.

  3. ha, ja, die sache mit der meinungsmache vornerum und dann hintenrum doch wieder lästern. das war mir auch unangenehm aufgestoßen. ich habe es nur nicht recht in worte gefasst bekommen.

  4. Gerade wegen der Erfahrungen mit missgünstigen Kollegen und dem Oderkaff ist Twitter seitjeher bei mir der Account mit dem Vorhängeschloss davor. Möge es einfach jeder handhaben, wie er/sie mag.

    Ich bin prinzipiell jemand, der sehr klar und offen mit der eigenen Meinung umgeht und ich finde, ich sollte zu allem stehen können, was ich öffentlich von mir gebe. Nicht nur von Berufs wegen. So habe ich seit jeher meinen Echtnamen im Blogimpressum und wie ihr wisst, da auch schon Anfeindungen ausgehalten. Aber auch ich brauche meinen (gefühlt) semioffenen Raum und den nehme ich mir bei Twitter; bei FB läuft das für mich anders, auch aus historischen Gründen. Aber auch da könnte ich ja, wenn ich wollte, mich (gefühlt) weniger dokumentieren und weniger öffentlich machen.

    Interessant der Bezug zu Viktorianismus und Biedermeier, muss ich mich nochmal näher mit befassen.

    • Ich glaube, die Diskussion geht nicht vorrangig um geschützte Accounts. Die halte ich für nötig. (gerade Frauen mit Kindern haben häufig geschützte Accounts, bzw hätte ich das Bedürfnis, NSFW-Themen rauszulassen, würde ich das auch schützen)
      Es geht um ein Netz geschützter Zweitaccounts. So wie auf dem Schulhof: Briefchen schreiben oder Geheimsprache sprechen, damit die anderen draußen bleiben. Es geht um „wir definieren uns gegen die anderen“.

  5. Briefchen schreiben und Geheimsprachen sprechen kann großen Spaß machen. Und auch der Salon ist ja kein wirklich öffentlicher Raum gewesen. Nur klingt das, was ich den Beschreibungen auf der Seite entnehmen kann, eher trübsinnig. Wahrscheinlich muss man nicht lange darauf warten, bis auch diese Szene zerfällt, weil die Teilnehmer den hohen Anforderungen an Solidarität und Empathie/Authentizität gar nicht gerecht werden können.

    Vielleicht bin ich durch meine 80er-Jahre-Sozialisation und die seinerzeit obligatorische Richard-Sennett-Lektüre versaut: Solche eingeforderte Intimität (und diese Forderung schwingt in dem <3-Gespräch unterschwellig mit) führt unweigerlich zur Implosion. Vielleicht ist es eine Generationenfrage: Viele der Protagonistinnen erscheinen mir so unglaublich harmlos und mädchenhaft.

    • Ja, an Sennett dachte ich auch beim Lesen.
      Das Fragile des Rückzugs ist gut bemerkt. Das „wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ der ganz Unsicheren ist sehr begrenzt, wenn es nicht in massives Heucheln ausartet oder langweilig wird.
      Ich las diese Tage schon einen Ruf nach einem „Very Dark Account“…

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