Ich versuche mittlerweile weitestgehend die Klappe zu im Netz diskutierten Dingen zu halten, weil die im Fleisch-Leben oft unwichtig sind.
Aber heute stolperte ich über zwei Zeitungsartikel, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Trotzdem zeichnen sie eine Linie.
Christoph Dieckmann schrieb 1998 über den Mord an einem 14jährigen Mädchen in Thüringen. Da dieser Mord als rechtsradikal motiviert gilt, taucht er immer mal in Gedenk- und Mahntweets auf. (Tobias Schwarz hat den Artikel dankenswerterweise ausgegraben.)
Dieckmann schaut sich das Geschehen an. Fragt nach, zitiert viele O-Töne. Erzählt zwei Geschichten, die der Politik und die der Menschen. Schildert das Eine und das Andere. Erzählt von unpopulärer Zivilcourage, mit der ein Großvater verhindern will, dass seine Enkelin politisch instrumentalisiert wird. Dieckmann positioniert sich als Journalist in der Geschichte als Außenstehender, den seine Geschichten wieder einholen.
Anne Hänig schreibt 2017 über ostdeutsche Frauen mit rechten Positionen.
Hänig fragt, was Frauen empfänglich macht für Angebote des Rechtspopulismus.
Dann folgen These-Belege-Diskussion-Fazit am Beispiel von drei Frauen.
Zuerst die sozial engagierte Rentnerin aus dem Erzgebirge. Hänig ist irritiert – Die hat doch die Kurve aus der ostdeutschen Misere mittels Umschulung bekommen, war nie arbeitslos. Rechte Postionen kommen doch laut angeführter Expertinnenmeinung aus sozialer Abgehängtheit und dem Gefühl sozialer Ungerechtigkeit. Fazit: Solche Frauen wie diese seien enttäuscht, dass durch die Einheit für sie nicht mehr heraussprang.
Dann eine DDR-Bürgerrechtlerin, Feministin, seit langem in der CDU und Pegida-nah. Wird beschrieben: „Oft zappelte sie an solchen Abenden auf ihrem Stuhl, meldete sich energisch, wollte unbedingt erklären, was Leute zu Pegida treibt.“ Wenn sie nicht zappeln, damit sie erklären dürfen, seien solche Frauen stolz darauf, das ostdeutsche Lebensmodell in die Bundesrepublik exportiert zu haben. Querulantin mit Avantgarde-Anmaßung also. Die Experten-Meinung dazu lautet, dass emanzipierte Frauen aus dem Osten (die natürlich nur glauben, sie seien emanzipiert) ihre Dominanz und Macht herausstellen würden. Auch gegenüber Einwanderern.
Frau Nummer drei ist aus der Unterschicht. AFD-Mitglied, hier erstmals politisch engagiert, Teilnehmerin in einem Selbstverteidigungskurs. Ah, endlich eine der Abgehängten? Aber Moment mal, sie bekommt sei 5 Jahren Geld vom Staat in Form von Harzt IV. Warum ist sie dann in der AFD? Die Erklärung lautet, sie möge es, umworben zu werden.
Was mir im Kopf herumging:
- Zwischen beiden Artikeln liegen 20 Jahre und ein kompletter Wechsel journalistischen Stils in einer Zeitung. Der aktuelle Artikel ist von Experten untermauerte Meinung und Belehrung. Der ältere Artikel ist Erzählung, in die das Urteil des (als mündig angenommen) Lesers dazwischen kommen kann.
- Wenn ich einen großen sozialen Zusammenhang zwischen beiden Artikeln annehme, dann wird 2017 politisch geerntet, was 1998 gesät war. Gedüngt durch die Agenda 2010.
- Der Artikel von Hänig schildert Frauen mit gut versteckter Häme und Herablassung (in einer ersten Fassung schrieb ich Sexistisch und Rassistisch). Die porträtierten Frauen sind im Fazit gierig, dominant, eitel und undankbar.
Ich fühlte mich unangenehm an ein Gespräch erinnert, in dem mir irgendein Mann vor vielen Jahren die Clan-, Macht- und Geldgeilheit von schwarzen Frauen erklärte.
Was mich mäandernd zu einem Artikel bringt, den ich gestern las. Es ging um Frauen und Kriminalität. Die Annahme des Feminismus, dass die Kriminalitätsrate von Frauen mit der Emanzipation sinken würde, ist wahrscheinlich falsch. Je emanzipierter, desto straffälliger. Wundert mich nicht. Wer selbst versorgen muss, statt versorgt zu werden, wer seine Integrität und Interessen selbst vertreten muss, geht nicht immer korrekte Pfade.
Emanzipierte, selbstbestimmte Frauen können genauso macht-, erfolgs- und geldgierig sein wie Männer. Sie können bei zu viel Arbeit auch genauso in den 40ern mit einem Herzinfarkt aus den Schuhen kippen. Außerdem, warum sollten sie, quasi als ehemalige Unterdrückte, automatisch politisch links sein? Das war doch schon zu Rudi Dutschkes Zeiten nur ein Wunschtraum.
Ja…. irgendwie nicht verwunderlich
(in einer ersten Fassung schrieb ich Sexistisch und Rassistisch)
Beim Lesen Ihres Postings bin ich über diese Anmerkung gestolpert. Rassistisch? Ich frage mich, ob Sie das auch geschrieben hätten, wenn es sich bei den Portraitierten um westdeutsche Frauen gehandelt hätte.
Wie Sie selbst schreiben, können Frauen genauso macht-, erfolgs- und geldgierig sein wie Männer- sie brauchen meines Erachtens dafür nicht einmal emanzipiert und selbstbestimmt sein. Aber dass diese drei portraitierten Frauen tatsächlich unsympathisch sein könnten, ist vollkommen ausgeschlossen?
Ich zumindest finde es sehr problematisch, dass eine Referentin einer Landeszentrale für politische Bildung bei Pegida engagiert ist.
Zweifellos ist Christoph Diekmann (* 1956) der bessere Autor, davon zeugen nicht zuletzt diverse Journalistenpreise, die er zu dem Zeitpunkt, als er den Artikel verfasste, bereits erhalten hatte. Er war damals schon eine Edelfeder. Der Name Anne Hähnig (* 1988) sagte mir bislang nichts, über sie ließ sich nur die Info finden, dass sie nach dem Studium in Leipzig an der Deutschen Journalistenschule war. Ich habe keine Ahnung, ob sie wie Diekmann in der DDR geboren wurde, auf jeden Fall hat sie sie nicht mehr bewusst miterlebt, möglicherweise aber die Zeit der großen Unsicherheit der Erwachsenen in den frühen 1990ern. Bei Reportagen – und Portraits gelten auch als Personen-Reportagen – spielt die Persönlichkeit einer Journalistin oder eines Journalisten immer mithinein, auch wenn kein „ich“ im Text vorkommt, wie es in jüngster Zeit journalistische Mode geworden ist.
Gorndorf stand übrigens unlängst wieder in der Zeitung: Rechte Gewalt nimmt rapide zu im Kreis Saalfeld-Rudolstadt (OTZ vom 03.03.2017). Demzufolge ist die rechte Szene dort sehr aggressiv und sehr jung (immer noch), interessanterweise lautet ein Erklärungsversuch, dass die hauptsächlich in Gorndorf beheimatete „Anti-Antifa Ostthüringen“ sich wegen des abnehmenden Rückhalts in der Bevölkerung weiter radikalisiert hat und gewalttätiger geworden ist. In Gorndorf sind die Rechten durch Einschüchterungsakte und Übergriffe gegen das Jugendfreizeitzentrum aufgefallen, daran hat sich also nichts geändert.