Sonntagsmäander heute schon am Samstag

Über den Tag der deutschen Einheit muss ich nichts schreiben. Das habe ich immer mal wieder getan. Nach 25 Jahren ist das nun Normalität. Ich habe mein Erwachsenenleben nach der Wiedervereinigung verbracht und in der Rückschau weiß ich, es hätte nicht viel anders kommen können, denn die Zeit war reif. Ich bin heute nicht mal sicher, ob es in der historischen Alternative militärische Gewalt gegeben hätte. Wenn sich ein Erdrutsch in Bewegung setzt, kommt man nicht mit einer Sprengung dagegen an. Wo mit Wucht zerrieben, geschoben und gerissen wird – dort schmerzt es oder gibt neue Kraft.
Über einen langen Zeitraum ist die Summe von Freud und Leid gleich. Millionen Menschen haben andere Lebensperspektiven bekommen, so wie den gleichen Millionen Menschen die gewohnte Existenzgrundlage genommen wurde. Die Mitte tauschte Datsche und Plattenbau gegen Fertighaus und Mallorca, aber ich wage zu behaupten, so grundlegend änderte sich nichts, es wird immer noch gleichbleibend geklagt und gemeckert, aber irgendwie auch ok. gelebt. An den Rändern wird gefroren oder gefeiert. Dort sind Verluste und Gewinne nicht so ausgeglichen, da sitzen Verletzungen und Demütigungen tief oder aber das alte, graue Leben ist längst vergessen über dem Glanz der neuen Existenz.
Dass sich jetzt, nach 25 Jahren, der Begriff Nation noch einmal völlig neu definieren wird, ist wahrscheinlich an der Zeit. Es gibt eine Generation, die ohne Eisernen Vorhang und streng bewachte nationale Grenzen in Europa aufgewachsen ist. Für viele Abkömmlinge bürgerlicher Familien waren Trips in andere Länder, Fernbeziehungen über Ländergrenzen und längere Auslandsaufenthalte durchaus normal. Für digitale Bürger und Konsumenten scheint es gar keine Ländergrenzen mehr zu geben. Was man ganz gern darüber vergisst ist, dass man bei diesen Ausflügen die Reputation seines Elternhauses, seiner Kreditkarte, seines nationalen Sozialsystems und seiner Kultur mit sich nimmt. Ob als Austauschschüler, Erasmus-Student oder Easy-Jetter.
Den Ostdeutschen wurde diese Reputation geschenkt. Sie mussten nur ihre alte Staatsbürgerschaft dagegen eintauschen. Wer mittendrin war, weiß, dass das nur an der Oberfläche einfach war. Die rassistischen Herrenmenschen-Sprüche derer, die in den westdeutschen Way of Life hineingeboren waren, gab es gratis dazu.
Wer sich heute mit Rassismus/Othering beschäftigt und Critical Wasauchimmer, muss sich nicht an Amerika orientieren. Der braucht sich nur die sozialen Reibungen in der deutschen Gesellschaft der letzten 25 Jahre anzusehen. Ich habe über Zonen-Gaby nie lachen können. Ich war eine Zonen-Gaby.

Aber weiter im Text. Nachdem meine soziale Existenz in den letzten 6 Monaten vor allem aus no-shows bestand, besteht nun Hoffnung. Zumindest waren wir heute bei der Finissage der Ausstellung Leib, zu der die Frau Indica einen sehr sehenswerten Beitrag geleistet hatte.

Ich bin voller Hoffnung, dass sich das wieder einpendelt. Am Montag gehe ich wieder zur Arbeit und was die Verhandlung um weniger Arbeitszeit bringen wird, werden wir sehen.
Ich bin allen (das waren nicht wenige), die an mich herangeredet haben wie ein krankes Pferd, damit ich noch länger zu Hause bleibe und nicht kurzzeitig die Heldin spiele, überaus dankbar. Diese Woche hat endgültig die Genesung und neue Kraft gebracht.

Die Zeit zu Hause konnte ich für die Beendigung scheinbar endloser Knibbeleien verwenden. 12142641_898528810233858_255791449_n
Das habe ich getan, wenn ich nach der Arbeit zu müde war, noch irgendetwas anderes zu tun. Hörbuch auf die Ohren und stricken.

Stricken.(Triggerwarnung: Ironie!) Ich finde die Guerilla-PR-Kampagne der Berliner Radfems für Nadja Hermann aka Erzählmirnix überaus effizient und für die Buch-Autorin verkaufsfördernd. Ich frage mich, ob sich da nun jemand als PR-Fachfrau empfiehlt oder einfach nur in aller Tugend-Furiosität nen Streisand gebaut hat.

Weiter zuguterletzt mit Stricken. Dieses graphitgraue Tuch habe ich im Frühjahr fertig gestellt und es hat mir schon gute Dienste geleistet.
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Die Form ist ein sogenanntes Färöer-Tuch. Das Besondere daran ist, dass eine Art Schulter eingebaut wird und das Tuch damit um den Nacken keine Falten wirft, die Brust aber gut bedeckt.
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Das sieht dann aus wie eine kleine Fledermaus.
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Da das dunkle Seidengarn kleine violette, gelbe und grünliche Sprenkel hat, habe ich das Tuch auf den romantischen Namen Nachtwald getauft.
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Das Muster ist von einer deutschen Strickerin auf Ravelry, das Garn aus einem Etsy-Shop aus Nordengland, die dunkelopalfarbenen Perlen, die dem Saum die Schwere geben, aus Amerika. Nun wird das Tuch getragen in Berlin und wenn es in der Tasche liegt, steckt es in einem Leder-Pompadour mit dunkelblauem Seidenfutter aus den späten 30ern, denn Schlüssel und anderer Kram aus Damenhandtaschen tun ihm weh.
(die wunderbaren Herbstlichtfotos sind vom Grafen, wir machten heute einen Spaziergang von Mitte bis fast nach Stralau)

4 Gedanken zu „Sonntagsmäander heute schon am Samstag

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