Die Pollen legen zartgoldenen Puder über die Stadt und bisher bin ich vor den ganz üblen Nebenwirkungen verschont geblieben. Es hat auch Vorteile, tagsüber hinter Thermoverglasung zu sitzen.
Die Woche hatte von allem zu viel. Eine in den Kräften nachhängende Wochenendreise, viel Arbeit, mehrere abendliche Treffen, die nicht noch einmal zu verschieben waren… Genug, um sich für längere Zeit auf eine einsame Insel zu wünschen.
Ein bisschen einsame Insel hatte der Samstag, wo ich mit dem Kind im Garten herumpusselte. Da wäre ich gern die nächsten 14 Tage geblieben.
So wie es ist, bin ich grade kurz angebunden bis maulfaul, misanthrop, gereizt und gehetzt und versuche, das mit allen Kräften zu verbergen. Aber alle Dinge haben ihre guten Seiten, vielleicht hilft das, was mir gerade begegnet dazu, noch mal einen leicht modifizierten Weg zu finden, mit mir und der Welt. Zu arbeiten und Geld zu verdienen, ohne über glühende Kohlen zu laufen. Ich beobachte es noch.
Was es sonst noch gab. Diesen sehr lesenswerten Artikel im Tagesspiegel über die Wirkungen von Airbnb auf ganze Viertel in Berlin und die Blogposts von Lucky Strike und von Gaga Nielsen dazu, bitte lesen mitsamt Kommentaren und darüber nachdenken. Das ist wirklich revolutionäres Internetbusiness (und das Wort benutze ich jetzt ganz wertfrei, denn „Alles Neue kommt mit Schrecken“ sagte Heiner Müller), es stellt die Welt, wie wir sie kennen, auf den Kopf. Ähnlich, wie es vorher schon Filesharing taten oder eBooks, die ohne Verlage veröffentlicht werden können. Wir nutzen eine tolle Möglichkeit, Urlaub zu machen und verändern damit unsere Lebensstrukturen tiefgreifend und ohne es zu wollen.
Was es mir noch zeigt: jegliche Share Economy gleitet ganz schnell in banalen Kapitalismus.
Nachdenken über Angst und Gefährdungen in unserem Leben. In der DDR (und das zu einem Preis, der allen bekannt sein sollte) war mein Leben zwar sicherer, aber auch heute habe ich weder Angst, noch fühle ich mich bedroht. Für eine riesige, sehr tolerante und internationale Stadt wie Berlin passiert verdammt wenig. Gut, es laufen brüllende und fuchtelnde Psychos durch die Straßen, an den üblichen Plätzen hängen die Dealer in Trauben rum und man sollte im Gedränge die Geldbörse vor Zugriff schützen. Aber ich muss weder befürchten, dass mir jeden Moment die Handtasche weggerissen wird, noch muss ich Bargeld bei mir haben, um einen bewaffneten Raubüberfall zu überleben oder setze mich der Gefahr aus, als unbegleitete Frau nachts mit großer Wahrscheinlichkeit Vergewaltigungsopfer zu werden.
Das, was ich um mich herum höre, klingt anders. Schon unter dem #aufschrei-Hashtag versammelte sich eine Menge diffuser Ängste, die mich erstaunt und ratlos zurückließen, als würde ich auf einem anderen Planeten leben. Alles, was unter rape culture- oder street-harassment-Diskussionen läuft, schaue ich mir gar nicht mehr an, da bin ich zu alt und zu libertin dafür. Aus der konservativen Frauenarbeitsgruppe, an der ich vor zwei Jahren so viel Freude hatte, bin ich ausgeschieden, als die Arbeit abdriftete von Themen, die Frauen im Job und im selbstbestimmten Leben bewegen und die Leiterin sich immer mehr auf den Themenkreis „Frau als Opfer“ beschränkte. Es ging nur noch darum, anstehende Gesetzesänderungsinitiativen zu Gewalt, Mißbrauch, Vergewaltigung und Prostitution zu referieren und freie Träger und Vereine, die sich um geprügelte, missbrauchte und gestalkte Frauen kümmerten, zu besuchen. (Wobei es möglichst um „reine“ Opfer geht. Es gab tatsächlich einen Verein, der geschlagenen Frauen, wenn sie süchtig waren, keine Zuflucht gewährte. Obwohl mentale Abhängigkeitsverhältnisse, Gewalt und Drogen meist die übliche Gemengelage sind.) Ich habe mich dann irgendwann rausgezogen, denn das vergiftete mir mehr und mehr das Hirn, vor allem, als Versuche von mir und anderen recht toughen Frauen, den Kurs der Arbeit wieder zu ändern, abgewehrt wurden, unter dem Hinweis, das seien die echten Probleme in Berlin Mitte. Ich weiß es nicht. Es ist auf jeden Fall ein Geschäftsmodell, das Finanzierung verspricht.
Frauen als schwache, gefährdete, selbstbestimmungsunfähige, defizitäre und orientierungslose Wesen, die nun zwar nicht mehr von Familie oder Mann gesagt bekommen sollen, wo es lang geht, die dafür aber umgeben sind von sozialen Hilfsinstitutionen und gesetzlicher Maßgabe. Interessant. Vor allem dass beide Diskurse parallel laufen. Zum einen der neuerliche Versuch, Frauen verstärkt in nachhaltige Erwerbsarbeit zu bringen und die Angst- und Bedrohungs-und (männlichen) Übermachtszenarien, die referiert werden.
Das ist alles noch nicht zu Ende gedacht, fällt mir aber auf.
Außerdem bin ich ganz froh, wenn dann jemand wie Antje Schrupp das nabelzentrierte Emotionstourette („Ich empfinde das so, also ist das so“) ignoriert und mal nachfragt, wer eigentlich Verantwortung übernimmt. Mein Reden seit 2012.
Da kam dann noch ein zweiter Artikel nach, der bekräftigte, dass man unbedingt Feministin werden solle, auch wenn andere Feministinnen nicht immer das tun, was einem in den Kram passt. Gutes Indiz dafür, dass der erste Artikel ins Schwarze getroffen hat.
Wie in den Kommentaren erwähnt, habe ich ja ein einziges mal airbnb selbst vor einem Jahr genutzt, in einer bemerkenswerten Wohnung in Wien. Ich bedaure auch, dass ich nie mehr mit gutem Gewissen eine der oft ausnehmend schönen Bleiben auf Reisen miete könnte, aber es ist letzten Endes kein Weltuntergang, sondern ein Luxusproblem. Ich habe meinen Account dort gelöscht und als Begründung in dem Textfeld eingegeben, dass ich die dauerhafte Zweckentfremdung von Mietwohnungen als Ferienwohnung nicht unterstützen möchte. Interessanterweise dachte ich, als ich zum ersten mal von dem Portal hörte, dass es sich um überdurchschnittlich tolerante und reisefreudige Menschen handeln müsste, die keinerlei Befangenheit haben, ihre Wohnung bei jedem ihrer vielen Urlaube wildfremden Menschen zu überlassen, das sind sie ja auch, wenn sie sich nett in ihrem Profil beschrieben haben. Ein fremdes Paar im eigenen Bett. Nun hat sich das Rätsel ja aufgelöst. Es sind nahezu durchweg Wohnungen, die längst nicht mehr von den ehemaligen Bewohnern bewohnt werden oder noch nie wurden.
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