Nach den kleinen Sidesteps in die Heimat der Vorfahren – irre, die Männer in Jonsdorf sehen alle aus wie mein Urgroßvater, klein untersetzt, rund- und glatzköpfig* – gingen wir heute auf die eigentlich geplante Tour: Schlösserhopping in Niederschlesien. Es hat sich einiges getan in Polen. Vor 10 Jahre gab es noch heftigen Mangel an Unterkünften, jetzt sind sogar einst ruinöse Schlösser wieder fein.
Wir fuhren zuerst ein wenig durch Tschechien, immer an der Grenze entlang. In Schloß Gabstejn kehrten wir nur kurz ein. Die Führung hätte zu viel Zeit verschlungen. Dann pendelten wir immer wieder von Tal nach Berg im Isergebirge, zunächst, ohne die Grenze zu überschreiten. Den Grafen interessierte das Grenzland. Hier warten noch jede Menge Umgebindehäuser auf einen Käufer.
Dann ging es nach Niederschlesien, quer durchs Isergebirge. Ich wollte Swieradow sehen, Ort übelster Erinnerungen.
Denn ich haßte Ferienlager, wie ich es ohnehin haßte, im Pulk mit anderen Menschen zusammenzusein. Was meine Mutter nicht hinderte, mich als pubertierendes Etwas in ein Austauschlager nach Polen zu verschicken. 1976, dem ersten Jahr der wirtschaftlichen Schieflage in Polen. Wir schliefen in einer nie sanierten alten Villa am Berg zu 16zehnt in drei zusammenhängenden Räumen, Unisex-Waschräume gab es in der Waschküche im Keller, die Betten waren vom Militär, 80cm breit und mit einem Strohsack und einer Kratzdecke versehen. Die Laken waren immer feucht. Da wir auf 600 m Höhe waren, war es kalt und regnete ständig und rein. Alle waren auf Sommer eingerichtet und hatten den einen obligatorischen Pullover im Gepäck. Wir waren erkältet, froren und hatten Hunger, denn das wenige, was es zu essen gab, Blutwurst, Kartoffeln, Brot und trockener Weißkäse, erweckte in uns Grausen. Wir waren einfach zu verwöhnt. Kleines Dickes Kitty nahm in 3 Wochen 5 Kilo ab. Jetzt fuhren wir nur vorbei und viele der Häuser sahen noch genauso aus.
Auf dem Weg weiter nach Hirschberg machten wir auf einer Bergstraße im Isergebirge Halt. Ich stürzte in den Wald und sammelte Blaubeeren unter riesigen Tannen, einen großen Becher voll. Der Graf saß derweil an einem kleinen Flüßchen auf einem Stein, hielt die Beine ins kalte Wasser und sang. Ich kam dazu, setzte mich ins Moos und wir aßen die Blaubeeren und tranken das Wasser aus dem Flüßchen. In diesem Moment habe ich die Riesengebirgsromantik kapiert, von der ich bisher nur gelesen hatte. Es war einer der Momente, an den ich mich immer erinnern werde. Die kristallklare, aber warme Luft, das kalte klare Wasser, die Sonnenreflexe im Moos. Ich habe selten so viel Schönheit und Reinheit erlebt.
Dann ging es weiter, auf Feldwegen durch verfallene Gegenden. Bis auf das eine oder andere Haus eines ortsansässigen Businessman (denen ich eigentlich ein eigenes Kapitel widmen will), gab es für mich, neben dem üblichen polnischen Baustil und Erhaltungsgrad, erstaunlich viel Bausubstanz mit dem Stand von vor 80 Jahren plus Verfall. Es war einfach nicht mehr die Zeit, in der man zwischen Oberschreiberhau, Krummhübel und Hirschberg (man haue mich nicht ob der deutschen Namen, die schreiben sich besser) eine weitläufige Sommerresidenz unterhielt.
(Wir sind es einfach nicht mehr gewöhnt und vergessen es viel zu schnell, daß ganze ostdeutsche Altstädte ohne Solidarbeitrag und EU-Subventionen genauso aussähen.)
Wobei es einen riesigen Mentalitätsunterschied zwischen Polen und Tschechen gibt. Tschechisch-spießiges Kleinklein versus polnisches kein Hemd aufm Arsch, aber La Paloma pfeifen.
Wir checkten in Schloß Nr. 1 ein, fuhren gleich darauf zu Schloß Nr. 2, um für den nächsten Tag zu buchen und machten dann eine ausgedehnte Runde in die Berge nach Krummhübel. Irgendwann hatten wir die Riesengebirgsgipfel vor uns, die ich im Sommer noch nie so gesehen hatte, war ich doch bisher nur im Winter auf der tschechischen Seite unterwegs. Auf der Bucketlist steht schon seit Jahren eine Kammwanderung. Eine kleine hatte ich ja schon einmal auf Skiern gemacht. Atemberaubend, aber gefährlich, weil as Wetter schnell von Sone in Schneesturm umschlagen kann.
Wir kehrten in der Abenddämmerung zurück, die Sonne schenkte uns ein Untergangsdrama, und aßen Gebratenes und Gesottenes. Ich kippte einen echten Stonsdorfer drauf (wenn man schon mal hier ist).
Jetzt sitzen wir auf der Terasse und in den Teichen quaken die Frösche.
*Und sie reden wie er. Sie verschlucken alle Vokale, das klingt schon sehr böhmisch.
„zu sechzehnzehnt“ – also zu Hundertsechzigt?! Das war kein Ferienlager: Man hatte dich in den Gulag geschickt.
Riesengebirge klingt wundervoll. Verdammt, wann setze ich endich meine alten Pläne von Deutschlandreisen um? Mosel, Rhein, Harz, Riesengebirge – interessiert mich eigentlich (!) alles sehr.
(Und das „polnische kein Hemd aufm Arsch, aber La Paloma pfeifen“ mag ich auch gerne. Inklusive auf sein weniges Zeug aufpassen und es sich damit schön machen.)
Nein, es waren tatsächlich nur 16 pubertierende Mädels. Aber wir fühlten uns wie im Gulag.
Ich kann diese Art von Reisen, die wir gerade machen, nur empfehlen – vor allem in Gegenden, wo noch nicht alles touristenglatt ist.
Sie bringen es fertig, mir Heimweh zu verursachen, wo gar keines sein kann. Und das erste Schloss – mir kommt vor, ich würde es kennen. Sehr mysteriös und leicht verstörend, das.
Diese Ferienlager in Polen war doch die für die Harten. Respekt!