Jubiläum und kein Ende
Während um mich herum alles im Jubiläumsfieber ist und die Historisierung der Ereignisse mehr und mehr anläuft, bleibt mein Gefühl für die Zeit zwischen Oktober und November 1989 im Privaten zurück. Mir sind da grade zu viele Welterklärer unterwegs, die nur noch Informationen aus dritter und vierter Hand repetieren und in wohlfeile Form bringen. Ich habe 25 Jahre in der DDR gelebt und nun 25 Jahre im vereinten Deutschland. Mir muss keiner mehr was erklären. Aber auch ich muss mich nicht erklären.
Es ist alles schon aufgeschrieben:
Wie es wirklich war
Wiedermal
Auch 20 Jahre I
Auch 20 Jahre II
Fünfundzwanzig
Die Leichen in unseren Kellern. Ein Lamento
War da was mit Mauer?
Einheitsbrei
Herkunft ist kein Verdienst
Ich fühle mich ok., aber ich habe nach wie vor einen feinen Sensus für kulturellen Kolonialismus. Für Menschen, die mir erklären wollen, dass meine Prägung nichts wert ist. Die glauben, dass ihre Art zu leben und zu denken die einzig richtige ist.
Von hochintellektuellem Gedöns bis hin zu „Ihr blöden Ossis seid so hinterm Mond, dass ihr sogar noch Scheuersand nehmt!“, garniert mit aggressivem, hämischem Lachen. Von einer Frau aus einer asozialen Stahlarbeiterfamilie aus dem Pott. Es ist für ein armes Würstchen immer willkommen, jemanden zu finden, der einem das Gefühl vermittelt, doch ein bisschen mehr wert zu sein.
Es hat sich so viel verändert. Die Menschen, die vor 25 Jahren aus dem Arbeitsleben gerissen wurden, ihre gesellschaftliche Position verloren, die Kurve nicht bekamen und zu Jammerossis mutierten, sind heute recht gut versorgte Rentner.
Ich habe eher das Gefühl, dass der westdeutsche way of life nicht hinterhergekommen ist. Dieses archaische Frauen- und Familienbild passt nicht mehr in diese Gesellschaft, die aus dem Osten genügend Frauen bekommen hat, die in der Regel ohne großes Geschrei ihren eigenen Weg gehen. Vielleicht, weil sie kein Fallback hatten oder andere Rollenvorbilder, aber das ist ok. so.
Ich lebe heute in dem Viertel um den Rosenthaler Platz in Berlin, diese Gegend ist kaum noch einheitsdeutsch, sie ist international. Hier hat beides, sich genuin westdeutsch oder ostdeutsch gebärden, den Status von possierlicher Brauchtumspflege.
Was vom Tage übrig blieb
Sandmännchenpastete. Ostdeutsches Kindheitssymbol meets Westdeutsches Formfleisch.
Edit: Lesenwert
In meinen Bekanntenkreis gab und gibt es ein paar Frauen verschiedenen Alters, die in Ostdeutschland geboren wurden, als es die DDR noch gab. Allesamt habe ich sie als äußerst patente und lebenstüchtige Menschen kennengelernt, die sich auch noch in schwierigen Situationen zu helfen wussten.
Mich hat in diesem Zusammenhang das Tagebuch von Frische Brise sehr beeindruckt, der Eintrag vom 10.11.
Ein 13jähriges Mädchen kommt nach Hause, die Eltern sind weg und sie überlegt als erstes, wie sie jetzt über die Runden kommt, weil es möglich sein kann, daß die Eltern nicht zurückkommen.
Danke.
Mich nervt bei dem ganzen Medientamtam vor allem wie toll das ‚damals‘ alles war. Nein, war es nicht!!!
Es war eine Zeit sehr großer Verunsicherung.
„Toll“ war es vermutlich für die Fernsehzuschauer im Westen, die sich von der sicheren Warte des eigenen Wohnzimmerfauteuils den Umbruch ansehen konnten. Wer sich selber mitten in einer starken Wasserströmung befindet, braucht seine ganze Energie, um nicht unterzugehen, und verklärt dieses Erlebnis irgendwann später.
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