KKM liegt nun

mehr als zwei Monate im Krankenhaus. Das Pflegeheimzimmer war schon eingerichtet, es standen Blumen auf dem Tisch, da kam die Intervention der Ärztin. Es sei etwas mit den Nieren nicht in Ordnung. Jetzt liegt sie nun im dritten Krankenhaus. Jedes hat eine andere Politik. St. Hedwig in Bohnsdorf wollte sie so schnell wie möglich loswerden, nachdem klar war, daß es sich um einen Tumor handelt, der im Alter von 85 nicht mehr zu behandeln ist. „Ihre Mutter wird ja dann am Montag nach Woltersdorf verlegt.“, erfuhr mein Vater im Vorbeigehen auf dem Flur von einer Schwester. Vielleicht ging man davon aus, daß KKM – die ja durchaus noch lichte Momente hat, in denen ihre alte Dominanz aufscheint – ihren Söhnen davon erzählt hat. Erst lange nach der Verlegung in das gerontologische Krankenhaus Woltersdorf, das nicht einmal die Krankenakte mitbekam, gab es ein Gespräch mit den Söhnen. Es gab keine klare Diagnose, keine Unterredung über Konsequenzen. Eine vage Angabe zur Lebenserwartung – vielleicht bis zum Frühling – aber kein Wort darüber, wie dieses Sterben vor sich gehen könnte, worauf wir uns einstellen müssen. Mein Vater und mein Onkel realisieren nun langsam, daß sie im Familienverband nicht mehr „die Jungs“ sind, die nach der Pfeife ihrer Mutter tanzen müssen oder aber sich verpissen. Und doch schieben sie alles von sich. Den Chirurgen, der sich dann doch die Zeit genommen hatte, mit ihnen zu reden, löchern sie so lange, ob sich Krebs in diesem Stadium noch spontan zurückbilden kann, bis es für sie Gewißheit ist. Es ist vielleicht nichts, es wird vielleicht wieder. Sie kann zurück in ihr Haus, mit Essen auf Rädern natürlich und einer Pflegerin, die nach ihr schaut.
Die Ärztin des gerontologischen Krankenhauses riß sie aus diesen Träumen. Die Entlassung stand an und in ihr Haus konnte sie in diesem Zustand nicht zurück. Die Pflegeheimsuche begann. Meine Mutter rief mich an und erzählte empört, daß dieses teure Heim mit dem Seeblick so viel Geld zusätzlich verlange für ein leeres Zimmer! Es war für sie kein Qualitätskriterium, daß die alten Leute dann ihre Möbel mitnehmen konnten.
Am Freitag ging es tatsächlich darum, meine Oma mit seit Tagen blockierten Harnleitern für einen Tag ins Pflegeheim zu bringen, um sie dann zur Behebung der Blockade wieder ins Krankenhaus einzuliefern. Der Grund wird im Abrechnungssystem liegen. Nur ein aktueller Fall ermöglicht die Abrechnung einer neuen Fallpauschale. Doch Gott sei Dank hatte man einen bürokratischen Trick gefunden, der ihr das ersparte.
Nun liegt sie in St. Hedwig in Berlin Mitte. In dem Trakt, der von der Anlage der Räume einen kleinen historischen Rückblick darauf gibt, wie Berliner Krankenhäuser zur Zeit der Typhusepedemien ausgegehen haben. Der behandelnde Arzt dort spricht plötzlich von Chemotherapie. Tolle Idee. KKM nickt das natürlich ab, auch wenn sie sich im nächsten Augenblick nicht mehr daran erinern kann. Die Jungs haben scheinbar vergessen, die Patientenverfügung zu hinterlegen.
Ich kann nichts tun. Ich bin nur die Enkelin, in meiner Familie wird die Erbfolge eingehalten. Auch wenn ich bei ihr aufgewachsen bin und sie mir der nächste Mensch in der Familie ist. Ich kann zu ihr gehen, ihre Hand halten, ein paar Worte mit ihr sprechen, auch wenn ihr das Zuhören und das Antworten immer schwerer fällt. Mehr nicht. Natürlich kann ich mit meinem Vater reden, ihm Informationen geben, ihn auch für ein paar Tatsachen sensibilisieren.
Es macht mich fertig, daß ich durch eine unsichtbare Datenleitung mit meiner Großmutter verbunden scheine. Sie wird sterben und ich mache den sterbenden Schwan. Immer wieder rast mein Herz los und ich zittere am ganzen Körper, mitunter reißt mich das sogar aus dem Schlaf. Ich muß das Auto rechts ranfahren und HeMan ans Steuer lassen, weil mir schwindelig ist und ich vor Tunnelblick nichts sehe. Oder ich schlafe am hellichten Tag stundenlang. Ich vergesse wichtiges sofort und bringe Fakten nicht mehr in die Reihe. Die Kommunikation mit HeMan ist für ihn ein Minenfeld geworden. Jeder nebensächliche Satz, der sich auf mich und ihn als unabhängige Wesen bezieht, hat bei mir einen Heulkrampf zur Folge. Ich stehe da, bin völlig aufgelöst, könnte mit dem Kopf an die Wand schlagen und bitte ihn Schick mich nicht weg!. Und das auf die Frage, ob ich beim Fleischer auch Wurst kaufen will.
Ich bin im freien Fall.

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9 Gedanken zu „KKM liegt nun

  1. gib ein zeichen wenn es irgendetwas gibt, womit man helfen kann. und sei gedrückt.*b

  2. REPLY:
    hospiz wollen onkel und vater nicht. dann müßten sie ja akzeptieren, daß sie stirbt.

  3. REPLY:
    Ja, aber rufe die ruhig mal an. Zum einen können Dir dir Tipps geben, wie Du mit denen in der Familie, die gerade «ignorieren» umgehen kannst und zum anderen können die Dir auch Trost spenden, Dir helfen wie Du mit der Situation etwas besser klar kommen kannst. Die sind ja oft sehr umfassend tätig und hilfsbereit.

    http://www.hospiz-aktuell.de/

  4. Ich denke grad über meinen sohn nach, den das immer sehr quält, wenn er seine omama im pflegeheim besucht und sie sich so in seinen augen zu sehr mit ihrer situation abfindet…
    Ich sag ihm seit wochen, dass es nicht um ihn geht oder darum, wie er sich bei all dem fühlt.

  5. Liebe Kitty,

    ich erinnere mich gerade sehr an die Zeit vor 10 Jahren zurück, als ich mit meiner Großmutter ganz ähnliches erlebt habe. Sie war meine einzige Großmutter und der 1. Mensch, den ich loslassen mußte.

    Ich verstehe, wie schwer das für Dich ist und ich hoffe, Du findest jemanden, der Dich ein wenig unterstützt. Bei mir war es damals ein sehr einfühlsamer Krankenhaus-Seelsorger ( wobei ich nie was mit Kirche am Hut hatte ) an den ich eher zufällig geraten bin und
    eine sehr patente Sozialarbeiterin der Klinik, die uns einige „Tricks“ und Insiderwissen weitergegeben hat, insbes. im Zusammenhang mit Pflegeheimen.

    Ansonsten bleibt Dir nichts anderes übrig, als loszulassen und die Hilflosigkeit auszuhalten…..

    Ich wünsche Dir viel Kraft und sende Dir liebe, mitfühlende Grüße !

  6. kann ich besser nachvollziehen, als mir lieb ist, deshalb weiß ich, dass eine solche Lage einfach nur Schei*e ist, und wenns drauf ankommt, für den Rest der Familie noch mehr als für die eigentlich betroffene Person.

    Auch ich würde zur Kontaktaufnahme mit der Hospizbewegung raten, denn die Menschen dort werden inteniv geschult, mit solchen Situationen umzugehen, sowohl, was die Kranken betrifft, als auch, wenn es um die Angehörigen geht.

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