Dass ich Kleider nähe, hat immer damit zu tun, dass ich etwas nicht kaufen kann, erst dann bewegt sich mein innerer Schweinehund.
Mangels Westverwandtschaft hieß es früher, entweder du trägst VEB Jugendmode oder du lässt dir was einfallen. Ich tat letzteres und das erste Stück, das ich allein nähte, war eine Hängerbluse mit Stehbündchen und Biesen, dunkelblau mit weißen Pünktchen, Vorkriegs-Viskose aus den Beständen einer Urgroßmutter. Ich brach mir fast die Finger und eine Nähanleitung gab es nicht, aber ich wollte mir keinen Rat holen. Meine Mutter und meine Oma nähten mir zwar das eine oder andere Teil und manchmal durfte ich schon übungshalber etwas allein machen. Aber: Sie reden mir ständig rein, was ich denn zu tragen hätte. Mit 15 stand mir der Sinn nach dunklem Walla-Wala und das hätte nur Diskussionen gebracht, warum ich denn eine altmodische, trübsinnige Schwangerenbluse anziehen wollte.
Das war eine Initialzündung. Sobald ich Taschengeld übrig hatte und es Stoff zu kaufen gab, stockte ich mein Lager auf. Die Mutter meiner Jugendliebe, eine schöne Frau mit künstlerischen Ambitionen und wirklich gutem Geschmack beriet mich und brachte mir Stil bei, was in meiner Familie nicht Standard war. Der eine Teil ließ schneidern und das waren dann pragmatische Etuis für die Korpulenz, wenn auch aus teuren Stoffen. Erst auf alten Fotos sah ich, was für eine elegant und weiblich gekleidete junge Frau meine Oma mal war, mit Pelzen, Handschuhen und Hut. Der andere Teil kaufte das, was da war (also den üblen VEB-Schick) oder schneiderte selbst, auch aus dem was da war. Das waren meist billige Stoffe mit blöden Mustern oder noch schlimmer knallbunter oder beiger bondierter Möbelbezugsstoff aus Polyester (so eine Art dünner Neopren), den es im Werksverkauf billiger gab. Materialen, die bei der Verarbeitung zu biederen, unauffälligen und stoffsparenden Stücken noch mit fetten Stufen und Säumen versehen wurden, damit man sie ändern konnte.
Ich legte mir ein kleines Lager aus Batist, Uromas Spitzen und handgewebtem Leinenbestand, Chiffon und anderen Seidenstoffen an und dazu kam das eine oder andere ausrangierte Teil aus Omas Festkleidbeständen – schwarzer Samt mit silbernen Rosen bestickt, silber-schwarzer Lurex, bunter Samt mit großen Blüten, alles, was sich durch Omas Masse gut umarbeiten ließ.
Bei meinem Kleid für den Tanzstundenabschlußball beriet mich die Quasi-Schwiegermutter, meine Mutter und meine Oma hatten nur kopfschüttelnd auf den Schnitt geschaut: Was ich denn damit wolle? Schon wieder zu weit und zu extravagant: Eine weite Chemise zartem weißem Batist mit einer angearbeiteten Pelerine bis zu den Ellenbogen, dazu ein selbstgemachtes Stoffblumenbukett. Das trug ich noch jahrelang im Sommer, dann allerdings blau gefärbt.
Später kamen die Hippiekleidchen aus Bettlaken mit perlenbestickten Spitzenapplikationen und selbstgedrehten Troddeln und Kordeln. Lang natürlich. Kopfschütteln von der Familie. Mein Bruder bekam aus gestreiftem Nachthemdbarchent ein weites Hemd über der Hose zu tragen gemacht und so marschierten wir zur Scham der Oma zu einer Familienfeier. Wir sähen aus wie die Hausbesetzer, meinte sie.
Die Abnabelung von der Familie drückte sich in Rocksäumen aus. 7 Meter Saum hatte ein Stufenrock aus schwarzem Cloqué, den ich mir nähte. Unpraktisch sicher, aber wunderschön.
Als man sah, ich meine es ernst, schenkte mir eine Oma eine nagelneue transportable Veritas (unbedingt mal diese schräge Website ansehen!) mit jeder Menge Nutzstichen, Klassen besser als die elektrische Zickzackmaschine meiner Mutter oder gar die Singer meiner anderen Oma, die noch getreten werden musste.
Später bekam ich noch die Victoria-Langschiffmaschine aus dem Erbe der Urgroßmutter, die ebenfalls gute Dienste leistete, vor allem bei dicken Stoffen.
Als ich am Theater arbeitete, bekam ich Stilkostüme zu sehen. Korsagen, Raffungen, Rüschen bis zum Abwinken und der übervolle Fundus enthielt das eine oder andere Stück, das ich mir adaptierte. Unter anderem ein weiter leinerner Rüschenunterrock und ein seidenes Hemdblusenkleid mit Kellerfaltenrock aus den 50ern. Neue Farbe, neue Knöpfe und dann war war es meins.
Dort lernte ich auch La Primavera kennen. Die hatte in ihrer riesigen Altbauwohnung das Berliner Zimmer zur Werkstatt erklärt und nähte, färbte und batikte, was das Zeug hielt. Ich war tief beeindruckt. Zum Arbeitszimmer schaffte ich es zwar nie, aber in meinem Näheckchen lag immer eine angefangene Arbeit. La Primavera erklärte mir auch, was ich da eigentlich tue, denn sie machte inzwischen eine Schneiderinnenausbildung. Die wenigsten Schnitte hatten schrittweise Nähanleitungen, Anleitungsbücher gab es auch nicht, ich war furchtbar dankbar dafür, wenn sie mir beibrachte, wann und wie ich einen Kragen, ein Bündchen oder ein Revers anzusetzen hatte.
Als ich 25 war, hatte ich so ziemlich alles schon einmal genäht: Patchwork, Biesen, Hohlsaum, Jacketts und Hosen, selbst entworfene Abendkleider und Filzhütchen mit Stickerei.
Dann fiel die Mauer und ich schwelgte in wunderbaren Stoffen und Knöpfen. Doch nach dem Studium, wir wohnten zudem beengt zu dritt in einer 50qm-Zweizimmerwohnung und ich begann zu arbeiten, schwand der Spaß am Nähen. Gekaufte Kleidung war schneller zu haben und war zumindest damals halbwegs ok. verarbeitet. Meine Arbeiten blieben halbherzig, weil zu eilig angefertigt. Ein schwarzes Samtkleid mit hohem Schlitz und rotem Futter klemmte über der Brust (ich hatte vergessen den Schnitt nachzumessen) und bescherte dem Kind und mir sich verschlimmernden Husten, weil der feine Flor überall rumflog. An dem Abend, wo ich es hatte tragen wollen, lagen sie und ich mit Bronchitis im Bett.
Dann kam die Zeit der Selbständigkeit und mit ihr wenig Zeit und gutes Geld. Ich konnte das eine oder andere Designerstück kaufen, das zudem gute Arbeit und Material war. Die Nähmaschine zog zwar weiter mit um, aber sie verstaubte und irgendwann gab ich auch meine Stoff-Vorräte, die ich wie meinen Augapfel gehütet hatte, auf.
Die Näh-Ära war vorbei.