Es ist fast geschafft, ich muss nur noch eine Woche durchstehen. Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, ich bin in einem absurden Live-Spiel, so wie Big Brother, statt in einer Reha-Klinik.
Am Montag war klar, dass aus den sporadisch auftretenden Magen-Darm-Erkrankungen eine kleine Noro-Virus-Epidemie geworden war. Man hatte in der Woche vorher schon versucht, etwas dagegen zu tun, die Erkrankten kamen 48 Stunden in Quarantäne und wurden in den Zimmern versorgt. Nur blöd, dass das Bedürfnis, zu rauchen und mit anderen zu reden, so groß war, trotz angebotener Nikotinpflaster. Die bleichen, kotzenden Gestalten standen trotzdem an der Raucherinsel und wenn es sie überkam, gingen sie auf eines der öffentlichen Klos oder sie waren brav und blieben drin und bekamen auf ihren Zimmern Besuch von den anderen. Am Dienstag waren die Gänge wie leergefegt, die halbe Belegschaft, 130 Leute, seien krank, hieß es auf den Gängen. Der Pflegedienst kam mit dem Versorgen kaum hinterher.
Ich war noch von der Erkältung angeschlagen und das Letzte, was ich wollte, war noch so eine Infektion. Ich habe mir wahrscheinlich noch nie so oft die Hände gewaschen und desinfiziert, wie in der letzten Woche. Ich blieb meist in meinem Zimmer, strickte und entwickelte einen wutgesättigten Lagerkoller.
Am Mittwoch wollte ich wieder mit Sport beginnen, aber als ich mich morgens vor der Aquagymnastik warm schwamm, wurde ich und die andere verbliebene Frau (sonst sind es 8-10 Leute) urplötzlich aus dem Wasser geholt. Man hatte alle öffentlichen Bereiche, die Schwimm- und Turnhalle, die Cafeteria, die Freizeiträume und auch endlich die öffentlichen Klos gesperrt. Jetzt blieben als Ansteckungsmöglichkeit nur noch die Schlange an der Tablettenausgabe, die mir wegen meiner Schilddrüsenhormone einmal am Tag nicht erspart blieb, der Speisesaal und die angesetzten Behandlungstermine.
Aber es bewährte sich, dass ich Türen mit dem Ellenbogen öffnete und mir trotzdem hinterher die Hände wusch.
Am Donnerstag outete ich mich endgültig als verhaltensoriginelles Alien. Ich hatte während der ganzen Zeit diverse Tests zu machen – zu meinem Befinden, zur Arbeitsfähigkeit etc. Der Test von Donnerstag sollte persönliche Fähigkeiten mit Arbeitsanforderungen abgleichen. Ich saß mit ein paar weiteren Menschen vor Computern und sollte in einer Excel-Tabelle eine der fünf möglichen Antworten zur jeweiligen Frage ankreuzen. So weit so gut. Nur: Die fünf möglichen, sehr detailreichen und sich nur in wenigen Details unterscheidenden Antworten wurden langsam vorgelesen. 400 von einem netten Mann mit Sprachfehler vorgelesene Antworten, 3 Stunden lang.
Ich war die, die nach fünf Minuten laut ausrastete und durchs Gelände lief, um mir den Antwortbogen zu besorgen. Wenn ich so etwas lese, geht das sehr fix. Wenn mir jemand das vorliest verstehe ich nix, der könnte auch chinesisch sprechen. Zu viele Details.
Es stellte sich heraus, dass das Testhandbuch des Vorlesers das einzige Exemplar war. Man hatte sich also erspart, die Fragebögen oder Arbeitsplatzlizenzen zu kaufen und umging so das Copyright. (Man kann es natürlich auch als versteckten Aufmerksamkeits- und Belastungstest nehmen.)
Ein Drittel der Fragen beantwortete ich in einer 10-Min-Pause, für den Rest fand ich einen Trick. Ich strickte und hörte nur kursorisch auf die Stichworte und beantwortete die Fragen durch den Filter einer anderen Tätigkeit. Hinterher war ich völlig fertig, das Strickmuster war nämlich kompliziert.
Danach trat ich in meinem Zustand mentaler Inkontinenz noch einer riesigen Frau mit Säuferstimme und rudimentärer Ausdrucksweise zu nahe, indem ich ihr sagte, ich könne mir nicht vorstellen, dass sie wirklich für eine Tätigkeit als Callcenter Agent geeignet sei (solche Leute sind ja der Horror aller Hotlines, aber das Arbeitsamt hat irgendwann die halbe Uckermark auf Callcenter umgeschult). Die arme Frau war völlig geschockt und fragte mich, wie ich das nach so kurzer Zeit beurteilen könnte, sie mache das seit fast 10 Jahren, nur die Auftraggeber würden sie fertig machen, weil sie immer und immer mit der Qualität nicht zufrieden seien. Als ich ihr dann sagte, ich hätte fast 20 Jahre gewerbliche Arbeitsvermittlung gemacht, aber es täte mir leid (!!!), dass ich was gesagt hätte, war sie noch geschockter. Ich kann mir sie mit schaffenden Händen inmitten von Kohl und Ferkeln vorstellen, aber auf der Tonspur kommt ein weiblicher Ork rüber. Im Nachhinein bedauere ich, dass ich meine Klappe nicht halten konnte.
Am Nachmittag dieses Tages schlief ich erst drei Stunden und dann lief ich fast acht Kilometer durch den Wald, um irgendwie den Ärger über diese Zumutung in Testform loszuwerden. Verhaltensauffällig eben.
Es war aber nicht alles schlecht in dieser Woche. Man denkt hier natürlich strikt in Kategorien des Angestelltenlebens und nach denen kann ich nicht mehr als gewerbliche Arbeitsvermittlerin tätig sein. Man plant daher für mich eine Eingliederungsmaßnahme von einem Jahr Dauer. Ob ich mir dabei meinen Arbeitgeber aussuchen kann, weiß ich noch nicht. Ich hoffe es doch sehr. Dann wäre es ein weiteres geschenktes Jahr, während dem ich an einer Transformation meines Arbeitslebens schrauben könnte.
Herrje, manchmal hat man einfach kein Glück. Unter Erfahrung verbuchen und jetzt mal hemmungslos alles Gute, Schöne und Leckere! Und keine Selbstkritik, das war halt Pech.