Dezember, kennste einen, kennste alle

Dezember, das ist Familienhorror ohne Gleichen. Meine Eltern haben Anfang des Monats innerhalb einer reichlichen Woche Geburtstag*, dann kommt auch schon bald Weihnachten. (früher hat das länger gedauert, als wir Kinder waren)
Dieses Jahr lässt sich alles schon an wie im Film. Mein Bruder, im folgenden Billtuer genannt, und ich wollen schon seit Monaten mit den Eltern sprechen, wie sie es sich so vorstellen, wenn sie gar nicht mehr richtig können.
Da mein Vater seit geraumer Zeit wieder die Familienkommunikation übernommen hat – wie immer, wenn er seelisch und gesundheitlich leicht angeschlagen ist, will er viel mit mir reden – wird die Informationsübermittlung zum Rorschachtest.

Ickeso: Wir wollten uns doch mal zusammensetzen und drüber reden, wie ihr es euch vorstellt, wenn ihr richtig alt seid.
Papaso: Ja klar, machen wir im Dezember. Wir feiern doch sowieso auch Geburtstag, kommt doch einfach am 8. Dezember, da ist auch wieder Adventsmusik im Bootshaus (der Ruderclub meines Vaters hat ein reges Vereinsleben) und dann können wir reden.
Ickeso: War das jetzt eine Einladung zur Geburtstagsfeier?
Papaso: Ja klar doch!
Ickeso: Ich habe mich schon gewundert, dass ihr noch gar nichts gesagt hattet, dass ihr feiert.
Papaso: Ach, Mama wollte irgendwie erst nicht drüber reden.
Ickeso (Eingedenk der üblichen Kommunikationsverluste zwischen Mutter und Vater): Und Mama weiß das mit der Geburtstagsfeier und will das auch?
Papa: Ja klar! Sag einfach doch auch Billtuer Bescheid, dass wir uns am 8. sehen.

Eine Woche später klingelt das Telefon:
Papaso: Und wie isset? Geht das klar mit dem 8., wann kommt ihr?
Ickso: Oh, Scheiße, ich hab vergessen, Billtuer anzurufen, aber hier klappt das auf jeden Fall, wir kommen alle und dann feiern wir und schicken die anderen mal für eine Stunde auf den Weihnachtsmarkt, damit wir reden können.
Papaso: Nein, das geht so nicht. Nur du und Billtuer sollen kommen! Wir haben schließlich was zu besprechen
Ickeso: Ja, aber ihr wolltet doch Geburtstag feiern!
Papaso: Ja, das auch. Aber die anderen stören doch nur, wir wollen vor allem mit euch reden.
Ickseso: (WTF!) Ok., ruf ich jetzt Billtuer an und bespreche, wann wir kommen und sage den anderen ab.
Ich lege auf und grummele etwas vor ich hin. Dabei fällt mir ein, dass ich dem Kind noch gar nicht Bescheid gesagt habe, dass wir alle zum Geburtstags ins Oderkaff kommen sollen. Oder besser, ich kann mich nicht erinnern, ob oder ob nicht. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm… Aber dem Grafen sage ich schon mal, dass ich allein fahre oder er eine kleine Erkundungsfahrt durch Polen machen kann. Ich bespreche mit meinem Bruder, dass wir an besagtem Tag um 14 Uhr bei unseren Eltern eintrudeln.
Fünf Minuten später klingelt das Telefon. Meine Mutter.
Mamaso: Du, ich finde das blöd, dass jetzt alle wieder ausgeladen werden!
Ickso: Alles kein Ding! Schon…
Mamaso: Neenee, wir wollen doch feiern, wenn ihr das wollt!
Ickso: Mama, es ist jetzt komplizierter, wieder alle in ein Boot zu kriegen, das  war allen sogar recht! (Ich will jetzt nicht noch erklären, dass ich mich gerade nicht erinnern kann, ob ich dem Kind schon Bescheid gegeben habe oder nicht.)
Mamaso: Prima, dann kommt doch am besten gleich früh, spätestens um 11 Uhr. Dann koche ich mittags einen Eintopf.
Ickeso: Argh! Ich sollte mich doch mit Billtuer besprechen, wir haben 14 Uhr ausgemacht.
Mamaso: Der ist doch ohnehin schon einen Tag eher da. Wenn wir früh Mittag essen, kann es hinterher noch Kaffee und Kuchen geben.
Ickso: Aber ich will nicht schon um 9 Uhr in Berlin losfahren!
(Schrecklicher Gedanke, halb 8 aufstehen, Kreislauf hochtouren und dann den ganzen Tag in der Wohnung der Eltern rumhocken und gefüttert werden.)
Mamaso: Na gut, dann aber zum Mittagessen.
Ickeso (mit ersterbender Stimme): 13 Uhr?
Mamaso: Na gut!

AAAAAAHHHHHH!

Nebenbemerkung: Dieser Horror hat in den letzten 8 Jahren einen Generationensprung gemacht. Meine Eltern haben nie vor 14 Uhr gegessen, nur gezwungenermaßen ließen sie sich von ihren Eltern eine Essenszeit von 13 Uhr diktieren.

Früher bin ich am 5. Dezember in den Flieger gestiegen und war weg. Ok., die Zeit ist jetzt vorbei, jetzt mache ich im Sommer Urlaub, wie alle anderen. Da muß ich jetzt durch.
Die nächsten Jahre jedenfalls noch, glaubte ich, denn ich hatte die Illusion, dass es nach Omas Ableben (die immerhin 91 ist) wieder egal ist, ob ich Weihnachten im Oderkaff bin oder nicht. Aber mein Vater sagte während unseres letzten Telefonates diesen folgenschweren Satz…
Papaso: Ich finde es toll, wenn ihr kommt, ihr könnt doch eure alten Eltern nicht zu Weihnachten allein sitzen lassen.
BÄNG!
Ich erinnerte ihn allerdings sofort daran, dass er sich noch vor 10 Jahren mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, seine Mutter alle zwei Weihnachten zu sich zu holen.
In unserer Familie ist man hart, aber herzlich.

*als die Familie noch Großfamilie war, ging das Schlag auf Schlag: November, Dezember, Januar, dann waren die Geburtstage durch. Alles Frühlingsgefühlskinder.

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6 Gedanken zu „Dezember, kennste einen, kennste alle

  1. Dezember ist das schlimmste. Schon als Kind hab ich Weihnachten und das alles gehaßt wie die Pest, schon als Kleinkind.

    • Vor allem weiß man so garnichts dagegen zu tun. Sie haben ja wenigstens Hauptsaison und können abends Die Mitarbeiter loben.
      Wir sollten diesen Monat abschaffen.

  2. schließe mich vollinhaltlich an.
    obwohl ich winter und weihnachtsstimmung an sich eigentlich schön finde. also im warmen unter einem duftenden baum vorm kamin sitzen, gewürzlastige heißgetränke schlürfen und dem/der liebsten mit einem geschenk eine freude machen. aber der hype drumherum ist SO anstrengend!!

    • Ich hab nur leider keine Idee, wie man das ändern könnte, sondern schleppe mich immer zähneknirschend durch diesen Monat.

  3. seit gefühlten 20 jahren keine familie mehr, kein weihnachten, nichts. (de fakto sind es immerhin schon 19. ; ) ich fühle mich wahrlich gesegnet. langsam hält sogar entspannung einzug in den körper, manchmal zumindest.

    aber es braucht wohl den totalen bruch für soetwas. oder eine andere, ähnlich gelagerte klarheit.

    • Keine Familie wirds bei mir nicht geben. Ich habe mich ja fortgepflanzt. Aber die Elterngeneration ist, was Weihnachten betrifft, echt anstrengend. Oder besser freudlos rituell. Ich habe das Gefühl, alle machen es nur für die anderen.

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