Vielleicht ist es nicht verkehrt, zu „Ich liebe den Geruch von verfaulendem Kohl am frühen Morgen“ eine Erläuterung zu geben.
In meinem ersten Leben wollte ich aufs Land. Der Grundimpuls war, der Kontrolle des Arbeiter- und Bauern-Staates irgendwie zu entrinnen.
Die einen taten es, indem sie nach Berlin oder Leipzig zogen, eine große, völlig verfallene Altbauwohnung besetzten und ihre Pflichtarbeitsstunden bei der Volkssolidarität mit der Pflege von Alten und Kranken ableisteten. So waren sie außerhalb eines „Kollektivs“, konnten sich ihre Zeit frei einteilen, hatten eine Krankenversicherung und ein paar Alu-Mark. Darüber hinaus wurde Kunst produziert und in der Kaufhalle der Grundbedarf geklaut.
Die anderen gingen an eines der Provinztheater, da konnten sie machen, was sie wollten, es sah und hörte ihnen sowieso niemand zu. Wahlweise ging auch: Klavierlehrerin, Näherin für Boutiquen, künstlerisch Töpfern, Schmuck fertigen etc.pp. Das Leben spielte sich ohnehin in den vom aufgeklappten Gasofen beheizten Wohnküchen ab. Besuch gab es ohne telefonische Voranmeldung.
Die ganz Harten zogen aufs Land. Erwarben für einen Appel und n Ei ein Bauernhaus, wurden Selbstversorger und jobbten für die Krankenkasse als Totengräber. Manchmal lebten sie mangels adäquater Gesellschaft in kleinen Aussteigerkommunen.
Mit meiner Jugendliebe hatte ich alles ganz prima geplant: Er wurde Biologielehrer, weil er für ein Biologiestudium zu bürgerliche Eltern hatte, ich würde Landwirtschaft studieren, um das Fachwissen zu sammeln. Und dann wird an idyllischem Ort ein Fachwerk-Vierseithof oder eine Mühle gekauft. Sein Papa hilft als Architekt und Bauingenieur beim Herrichten. Ich bekomme die Kinder und geh auf den Trecker.
Nachdem in der 11. Klasse meine beste Freundin dann meinen Platz an der Seite jenes Jung-Mannes einnahm, war vom Lebenstraum nur noch mein Studienplatz übrig. Gartenbau. Und so ging ich in das schöne Oderbruchdorf Golzow zum Vorpraktikum. Was hieß Kohlernte bis zum Frost im November. Blumenkohl, Rot- und Weißkohl. Mit einem Riesenküchenmesser absäbeln und in Kugelstoßertechnik auf den Hänger schmeißen. Von November bis März Holzkisten reparieren und Kohl und Sellerie aus dem Lagerhaus putzen. Die ersten zwei Tage bin ich morgens kotzen gegangen, weil ich mich an die verschiedenen Stadien des Verfalls erst gewöhnen mußte. Die Bauersfrauen haben gelacht und mich gefragt, ob ich angebufft (also schwanger) wäre.
Im März gingen wir dann wieder raus aufs Feld. Kohlrabipflänzchen in den steinharten Lehmboden einhacken, mit der Hand und auf den Knien, bei 4 Grad plus. Das Pflanzen auf der Maschine in den Wochen danach war easy, man mußte nur auf Granaten aufpassen, die manchmal noch hochkamen. Schließlich bewegten wir uns auf dem Gebiet der Offensive der Sowjetischen Armee auf Berlin. Munition und Knochen gab es hier zu Hauf. Im Sommer, wenn es heiß war, arbeiteten wir dann im Gewächshaus, zogen Tomaten und Gurken. Besonders prickelnd, wenn man wie ich allergisch ist auf Tomatenpollen.
Schon nach ein paar Wochen wußte ich: das ist es nicht. Die Menschen hier waren nur noch (bis auf wenige, geschäftstüchtige) geschlechtslose, enteignete Malocher, das hatte nichts mit meinen Heimatfilmphantasien zu tun. Also weg hier. Nur noch den Führerschein machen. Alles außer dem P-Schein und dem Mähdrescherschein hab ich mitgenommen.
Und nun? Volkssolidarität und handwerkliche Tätigkeiten am Rande der Legalität gingen nicht mit der Familie, die ich mein eigen nannte. Zu sehr Nomenklatura, das würde nur Streß geben.
Also Theater. 6 Jahre lang und danach ein Studium, das mich nach Fall der Mauer vor allem zum Taxifahren qualifizierte: Theaterwissenschaft.
Vom Landleben sind mir der harte Händedruck geblieben und Impressionen:
* Blumenkohl, klein und zart, frisch geerntet, kurz gekocht und mit Butter übergossen
* balzende Kiebitze, sie fliegen ganz hoch, paaren sich in der Luft, gehen im Sturzflug kreischend zu Boden und fangen sich kurz vor der Ackerfurche ab
* ein alter Bauerngarten mitten auf einem Riesenfeld, die Äpfel, die auf der Erde lagen hatten innen einen gelben Zuckerrand, so süß waren sie
* fauliger Weißkohl und fauliger Sellerie, beide bernsteingelb, mit unterschiedlichen Gerüchen, die ich jetzt sogar noch im Schlaf zuordnen könnte
* Blumenkohl auf dem Feld, der völlig ok. aussieht und bei Berührung stinkend und bersteingelb zerfließt, weil er innen bereits faul war
* Erde zwischen den Fingern, Erde, die wie eine Welle von der Pflugschar der Pfanzmaschine aufgewälzt wird, meine Hand setzt in die Welle einen kleinen Kohlschößling
Ich liebe das Land und Texte wie diesen. Voll strahlender Sätze, cleverer Ideen, sanft geschwungenem Stil und charmanten, klug verteilter Dellen und Kratzer im Lack der schillernden Wortbilder.
danke! auch für das bemerken der unwuchten in den sätzen. es ist schwierig, fürs internet lange an formulierungen zu arbeiten. das medium ist zu schnell. daher sind die kratzer und dellen nicht klug verteilt sondern passiert.
ein kindheitserinnerungstext für mich insofern, alls dass ich zögling ebendieser generation bin und wahrscheinlich mit john seymours “das buch vom leben auf dem lande” lesen lernte.
möchte gar nicht daran denken, wie mich meine tochter hassen würde, wenn ich ihr depperte, inzestuöse mc-pomm-landjugend und lehmbatzen an den gummistiefeln zugemutet hätte.
ach, hass hab ich auch keinen entwickelt, allerdings bin ich allergisch gegen lebensmittel ohne chemische zusätze, räucherstäbchen, ausdruckstanz, trommeln für den weltfrieden und gebatikte schafwollponchos, gegen ashrams und indien ansich, gegen chlorfrei gebleichte wäsche und natürliche verhütung.
oh du mein gott!!!
Ich kann mir das sehr gut vorstellen. In den Achtzigerjahren habe ich fast ein halbes Jahr als Techniker in der DDR verbracht – und zwar speziell in Aschersleben. Bestimmte Gerüche waren untrennbar mit der DDR verbunden.
Das Spezialstudium zur Erlangung der Eignung zum Taxifahren finde ich köstlich.
das taxifahrerstudium habe ich mir gott sei dank erspart. aber einen lkw fahren zu können, ist nicht verkehrt. dann können die männer beim umzug ihre kraft aufs tragen konzentrieren.
aschersleben. das sind die, die heute mit dem peinlichen autokennzeichen ASL über die autobahnen kriechen.