Der Herr Lucky schreibt heute sehr schön über seine 20 Jahre Berlin.
Auch mich sprang heute ein 20jähriges Jubiläum an, obwohl 1989 ein viel referiertes Jahr ist, es traf mich aus dem Hinterhalt.
Der heutige Tag begann mit einer Radirrfahrt nach Mitte, wegen der für den Marathon abgesperrten Straßen. Auf der Liste standen Kaffee kaufen im Buscaglione, bei Camp4 nach einem Reiseführer für Maine suchen (die haben einfach das am besten bestückte Wanderführerregal in Berlin) und bei Saturn und Media Markt nach einem Netbook schauen. Was bedeutet: Alexanderplatz. Nicht wegen der Schönheit der Gegend, sondern wegen der obszönen Größe dieser Geschäfte an jenem Ort.
Vor dem Eingang zu Saturn fiel mir diese Ausstellung auf. Wie es so ist in Berlin, man hört etwas, sagt: Mensch, da könnte man ja mal hingehen und tut es dann doch nicht. Und da HeMan sehr gern klagt, daß das Leben, respektive die wichtigen Ereignisse in Berlin an ihm vorbeirauschen, nagelte ich ihn fest: Wenn wir schon einmal hier sind, dann sehen wir uns das jetzt an. Das Wetter ist gut, es gibt keine Termine zu halten und wann verschlägt es uns noch einmal hierher?
Ich hatte etwas im Stil des Museums am Checkpoint Charlie erwartet, von dem Touristen ja immer wieder begeistert sind, was in mir aber das Vorurteil festsetzte, daß diese Ausstellung scheinbar eine Mischung aus „Mme Tusssauds“ und „Monstren, Mumien, Mutationen“ ist, mit seiner zerbröselnden „letzten Kremlflagge“ an der Fassade – weshalb ich auch noch nie da war, obwohl dieses Museum das am stärksten frequentierte der Stadt sein soll.
Die Schauwände jedoch, die am Alexanderplatz stehen, sind umfassend und realistisch in der Geschichtsschau, klar und übersichtlich gestaltet, knackig kurz betextet und mit Bildmaterial bestückt, das zwar nicht unbekannt, aber kaum gesehen ist.
Vor dem Foto „Friedensgottesdienst in Dresden am 13. Februar“ blieb ich verdutzt stehen: Da war ich dabei! – Irgendwie war ich damals mit meiner Freundin in Dresden und dort reingeraten, nichts Beabsichtigtes.
Denken Sie nicht, daß ich in diesem Staat in irgendeiner Weise etwas renitentes, widerständlerisches oder ungesetzliches getan habe. Ich bin – wie so viele – in die Nische ausgewichen, habe am Theater gearbeitet und Theaterwissenschaft studiert. Faxenmacher waren in diesem Staat ohnehin unter sich. Der Mikrokosmos Theater war übersichtlich, gut zu kontrollieren und vom Volk eher gemieden. Ich wußte, daß ich es wahrscheinlich nicht mehr lange in dem kleinen engen Land aushalten würde, auch die libertinste Nische raubt einem irgendwann die Luft zum Atmen und die Lebenskraft. Aber ich wußte nicht, wie ich gehen sollte. Meine Familie hatte diesem Land alles zu verdanken: Gesellschaftliches Ansehen, Position, hohe Bildung, gutes Einkommen, hervorragende Berufschancen. In zwei Generationen von bitter armen Arbeitern zu gut verdienenden Akademikern in leitender Position, das macht dankbar und verpflichtet. – Das auch im wörtlichen Sinne, wußte ich doch, daß die Ausreise der Tochter eines hohen Funktionärs einige Jahre zuvor die gesamte Familie ins gesellschaftliche und berufliche Aus stürzte. Gegen die Gerüchte, daß die Tochter und ihr Mann BND-Agenten waren, denen der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, konnte sich keiner wehren.
Ich erwog im Sommer 1989 sogar noch den Eintritt in die SED, um daran zu arbeiten, die Partei von innen zu reformieren, wie es die jungen Leute an der Fakultät Marxismus-Leninismus taten, die der Partei während Honeckers Krankheit ein Thesenpapier zu Reform des Staates vorgelegt hatten. (Ich finde komischerweise dazu keinen Link im Netz und damals hatte ich das alles nur gerüchtehalber gehört, denn mit den M/L-Leuten hatte ich an der Uni nichts zu tun, da ich die zwei Stunden wöchentlichen Unterricht mit einer Ausrede schwänzte.) Eine ehemalige Kollegin, die damals etwas Parteikarriere gemacht hatte, riet mir aber strikt davon ab. So blieb ich bei der Aussicht, irgendwann einen netten Dramaturgenjob zu machen und mit Mann (der damals Kurator einer recht bedeutenden Kunstsammlung in der Provinz geworden war) und Kind das billigst erstandene Bauernhaus in der Uckermark oder Prignitz zum Sommerwohnsitz herzurichten.
Zurück zur Ausstellung. Ein paar Meter weiter plötzlich die selbstgebundenen Bücher und Hefte mit den Linoldrucken auf dem Titel, die wir uns weitergereicht hatten. Und dann: He, die Frau, deren Auftritt auf dem Plakat von Judys Galerie* angekündigt ist, die kenne ich. Die hat mich vor ein paar Wochen angemailt, hab ich dir doch erzählt … Hat gefragt, ob ich nicht was für sie tun kann … die sieht immer noch genauso aus, wie auf dem Farbdruck.
Dann die Abbildung des Plakates mit dem Luxemburg-Zitat: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“. Eine Mitschülerin und ein Kollege verschwanden dafür im Knast und wurden später abgeschoben.
Ich ging weiter…
*Beides die gleiche Person. Heute der Kunsthändler Lybke, der die millionenschwere Leipziger Schule vertritt. Damals der verrückte Judy, der in Leipzig eine illegale Galerie betrieb und Performances veranstaltete.
Fortsetzung folgt
Die zwanzig Jahre habe ich anders erlebt. 1983 und 1984 war ich insgesamt 25 Wochen in der DDR. Techniker, sogar VIP mit Spezialeinladung vom Ministerium. Der Institutsleiter, ein ganz toller und sympathischer Wissenschaftler: „Herr H., Sie wissen, dass Sie uns immer sehr willkommen sind. Doch wenn Sie privat kommen, gibt es drei Schranken zwischen Ihnen und mir.“ (Dann sind Sie der Feind, das war gemeint. Nicht sein persönlicher, versteht sich.) Ab und zu wurde ich aktiv bespitzelt. Doch das hielt sich in erträglichen Grenzen. War irgendwie netter als in der UdSSR.
Was ich aber schlimm fand, war die Humorlosigkeit. Vopos oder Grenzer kannten kein Lächeln. Ich freute mich, dass ich sie mit ihren eigenen Waffen schlagen konnte. Einmal erwirkte ich eine Einreise, obwohl sie mich nach ihren Gesetzen nicht einreisen lassen haätten dürfen. Die Alternative hätte für sie unangenehmere Folgen als für mich gehabt.
Und dann 1990 Einreise in Berlin. Die Immigrationsbeamten lächelten, als sie meinen Pass kontrollierten. Ich habe mich darüber gefreut.
Und dann 2003 noch einmal das Gespenst der Beauskunftung. Als Lehrbeauftragter in Leipzig sollte ich alle Meldezeiten seit meiner Geburt melden und belegen.
Ich war stinksauer. Wieso sollte ich in meinem persönlichen Saustall suchen, wenn sie doch eh irgendwo die Stasiakten hatten. Wozu lasse ich mich denn bespitzeln, wenn die Daten dann nicht ordentlich verarbeitet werden.
Ich ärgere mich ein bisschen, dass die neuen Bundesländer nicht besser erschlossen werden. Dass das Lohnniveau so niedrig ist und die guten Leute praktisch gezwungen werden, weg zu ziehen.
Ich sehe die Veränderungen als positive an. Aber mir kommt vor, dass viele Menschen sowohl im Osten als auch im Westen am liebsten sagen würden: „Mit der Mauer war es besser!“
REPLY:
ich glaube, das ist viel gerede. anpassung ist anstrengend. dabei zu sein, wenn etwas neues entsteht, erst recht. (ich denke schon, daß deutschland jetzt etwas anderes ist)
und das mit dem stasi-scan… das ist so typisch sachsen. die hätten am liebsten ihren könig wieder.