Noch mal planen, fast drei Stunden lang. Dann hing mir der Magen in den Kniekehlen. Und hungrige Frauen sind bekanntermaßen schlechtgelaunte Bestien. Deshalb schleppte mich der Graf schnellstens zum nächsten Inder und fütterte mich.
Danach war Tatort-Zeit, diesmal aus München. Regie Elmar Fischer, dessen Debütfilmdreh ich miterlebt habe. Ein Guter. Jemand, der sorgfältig, uneitel, treu, freundlich, loyal und unspektakulär ziemlich gute Filme macht. Das Drehbuch war mir ein bisschen viel holzschnittartiges, spekulatives Gedöns (Vater und Tochter Breinersdorfer): Gangsterlesben knechten Drückerkolonne und erschwindeln Ec-Kartendaten mit Robbenbaby-Fotos, die Banken schweigen dazu und nebenbei gibts noch ein undurchsichtiges Rattenrennen um die Kohle, dazu einen Nebenbuhler um die Liebe der Hübscheren der beiden. Das kann nur im Klischee bleiben und so haben Nina Proll und Mina Tander das auch gespielt. Grenzwertiger Griff in die Klischeekiste: Der Banker (Karl Knaup) im Luxusbüro ganz oben im Wolkenkratzer, der einen kurzen Einblick in die Sparkassen-Verschwörung gibt. („Wenn wie das an die Öffentlichkeit kommen lassen, dann verlieren unsere Kunden das Interesse am Produkt ec-Karte!“) OMG!
Ich hatte ein Wiedersehen mit Navid Akhavan als Liebhaber, der das Lesbenpärchen entzweit. Der junge Mann ist begabt, gut, gut aussehend, uneitel… er passt hervorragend in das Team von Elmar Fischer. Und ein schauspielerische Aha-Erlebnis gab es. Anna Böger. Die einzige, die in diesem Ensemble einer Figur einen Bogen geben kann. Von der verschlossenen, ungelenken Blondine über das auftauende weibliche Wesen zum abgewiesenen Rachengel mit dem Habitus einer kleinen krummen Petze. Klasse!
Wenn es die Figuren qua flauem, albernem Drehbuch nicht hergaben, dann halfen kleine schauspielerische Preziosen, die zeigten, man hat Spaß und nimmt das hier alles nicht ganz so ernst. Die Szene zwischen Gangsterlesbe und Kommissar 1 (undercover als Mitglied der Drückerkolonne), Kommissar 2 (offiziell als Ermittler anwesend) und alter Dame (göttlich: Heide Ackermann!) ist ein reiner Schauspielerspaß mit Running Gags. Kommissar 1 – Jacke an, Komissar – 2 Jacke aus, alte Dame dazwischen: „Noch jemand Kekse?“ in Dauerschleife. Also: Ästhetisch sehr sehr ansehnlich, durch das Casting (Daniela Tolkien war das, eine ehemalige Schauspielerin) und die Schauspieler wurde sehr liebevoll ein blödsinniges Drehbuch gerettet.
Dann The Wrestler. Als der Film in Deutschland ins Kino kam, war ich gerade in der Klinik. Ich war sowieso kaum in der Lage, ins Kino zu gehen und wusste außerdem, dass er mich mit einer vollen Breitseite erwischen würde. Treffer, versenkt. Selbst mehr als 3 Jahre später.
Groß, unerbittlich, hart, frontal, bitter, nah dran. Eine Geschichte über einen Menschen, der zwar weiß, dass Schluss ist, aber aus dem Hamsterrad nicht rauskommt. Ich habe vor dem Ende weggeschaltet.
Polizeiruf 110 Mit List und Tücke, 1985, Regie Helmut Krätzig. Mit dem Regisseur hatte ich 12 Jahre später mal ein Treffen. Ich konnte leider nichts für ihn tun, ich war einfach eine Generation weiter. Es ging ganz normal los. Die ostberliner Straßen, der Zionskirchplatz im Nebel. Frauen in Anoraks und Kittelschürzen. Und dann taucht da plötzlich eine Gestalt auf, die aussieht, als hätte Inspektor Clouseau einen jüngeren Bruder, der Einbruchdieb ist (Henri Hübchen). Weiter geht es mit einem verliebten Polizisten, der im Jugendmode-Kaufhaus zwischen hässlichen braunen und grauen Jacken steht und eine junge Verkäuferin anhimmelt, statt einen Ladendieb zu fangen.
Es gibt zwar eine dramatische Kernstory, der Verdächtige und seine Frau haben nichts zu lachen, aber alles drumherum ist in kleine spaßige Szenen aufgelöst. Die „Gartenfreunde“ auf der Straße sind eine tratschende Trümmertruppe mit herrlichen Komparsen. EIn ehrfurchtgebietender Herr Doktor, der alte Damen mit einer Umfrage besucht, hypnotisiert diese, um sie dann zu beklauen. Otto Mellies, der Grandseignieur des Deutschen Theaters gibt einen total schrägen Typen, den auch Peter Ustinov hätte spielen können.
Weiter gehts, eine pensionierte Zirkusfrau schmeißt mit Zucker, statt hypnotisiert ihr Geld rauszurücken und verprügelt den Herrn mit dem Fleischklopfer. Ein pensionierter Hypnotiseur erfährt, daß sie ehemaliger Assistent nun mit seiner Nummer auf Reisen ist und richtig viel Geld damit scheffelt. Eine alternde Jungfer (Barbara Dittus mit getönter Sumsi-die Schmeißfliege-Brille) schwirrt um den Verdächtigen herum. Auf einer spiritistischen Sitzung gibt der Regisseur selbst einen leicht besoffenen älteren Herrn, der den Kontakt mit Onkel Erwin stört und der unvermeidliche Hauptmann Peter Fuchs (Peter Borgelt) küsst die umschwärmte Maid des Polizisten, um ihm zu zeigen: So geht das, Junge.
Dazu jede Menge großbürgerlicher Berlin Mitte-Altbau im Originalzustand von innen. Märkisches Ufer, Schiffbauerdamm, Kupfergraben, so die Ecke.
Schon erstaunlich, es ging auch lustig und nicht immer nur bedeutungsschwanger-dramatisch (was Krätzig dann wieder 1988 bei Flüssige Waffe, von mir schon mal besprochen, macht). Der Graf fragte mich angesichts der Treibens: „Warum wolltest du das nicht mehr? War das nicht gemütlich?“
Mich hat der Wrestler ja richtig kalt erwischt und berührt. Ich hatte gar nicht erwartet, dass er einem so nah kommen kann. Wo Wrestling ja eine Show ist die dadurch, dass es so unrealistisch und überzogen ist, ganz weit weg vom Zuschauer ist.
Und: Danke für deine Gedanken zum Tatort. Lese ich immer gern, wenn ich ihn auch sah.
Das ist einerseits Mickey Rourke. Der spielt ja kaum, der hält nur hin. Dieses zu Brei geschlagene, vom Schönheitschirurgen neu aufgesetzte Gesicht… und dann natürlich auch die Lakonie der Erzählung. Da wird nur gezeigt, nichts erklärt, es gibt kein überflüssiges Detail, nie zu viel Emotion. Großes Kino eben.
Und Danke :)
Heide Ackermann! Die habe ich in den 80ern im Ensemble des Ingolstädter Stadttheaters kennengelernt. Spielte u.a. in Bernarda Albas Haus die Angustias – perfekte Besetzung. Ich freue mich immer, wenn ich sie aktuell im Fernsehen sehe und ich mich von ihrem Wohlbefinden überzeugen kann.
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