Alle Aktivität kann nicht darüber hinwegtäuschen, zu einer 9to5-Arbeit nicht fähig bin. Gestern hing ich den ganzen Tag in den Seilen. Bei den Workshops ist es ähnlich, einen Ausruhtag brauche ich hinterher. Der muss als Bestandteil des Jobs mit geplant sein.
Also schaute ich mir den wunderbaren Herbsttag an und tat… nichts.
Am Abends fuhr der Graf mit mir nach Spandau, ich hatte schon seit langer Zeit mit einer Schauspielerin eine Lesung vorbereitet, die gestern Abend aufgeführt wurde.
Kinder Spandau besser gesagt Staaken, das sieht nicht anders aus als Bottrop. Da sind fiese Arbeiterschließfächer, „Monis Lockenstübchen“ mit der 50er Jahre-Typo-Schild (derzeit lassen alle Innungs-Friseure ihre Azubis die Fenster mit Krepppapier-Bastelarbeiten dekorieren grau-en-voll!) und „Die Bauernstube“ mit deutscher Küche und gleich daneben „El Manuel“ – spanisch – pakistanisch – italienisch. Wir gingen ins Sichtbeton-Kulturzentrum. Erstaunlich, dass die West-Hochhaussiedlungen nicht anders als die Ost-Hochhaussiedlungen entworfen sind.
Im Saal des Sichtbeton-Kulturzentrums saßen bereits 15 postklimakterische Damen mit der frischen, frechen Kurzhaarfrisur, jahreszeitlich angepasstem Strickpullover und farbenfrohem Schal aus dem Seidenmalkurs. Ich dachte das gleiche, wie Autor und Schauspielerin hinterm Vorhang: „Sch…! Falsche Zielgruppe!“ 50% der ausgesuchten Szenen handelten von Sex, 50% der anderen Szenen von großstädtischen jungen Leuten auf der Suche nach Spaß und Liebe, lustig, ironisch, manchmal zynisch beschrieben.
Vor dem Beginn gab es noch eine kleine Ansprache. Der Chef eines Vereins stellte sich vor. Er sagte, er setze sich dafür ein, da auch ALGII-Empfänger solche Veranstaltungen besuchen dürften. (Die Lesung war tatsächlich kostenlos.) Ich weiß nicht, ob es nur mir so ging. Ich möchte nicht, wenn ich eine Kulturveranstaltung besuche, als als Elendsfigur thematisiert werden. Ob ich nun Hartzer (was für ein Begriff!) bin oder nicht. Ich bin kulturinteressiert und freue mich, dass es jemanden gibt, der sich darum kümmert, dass es erschwinglich ist.
Dann, nach der netten Ankündigung einer nette Dame Typ Pionierleiterin, gings los. Wir saßen relativ weit hinten, ich versuchte immer mal, das Publikum zum lauten Lachen zu animieren, aber sie kicherten immer nur bei den saftigsten Stellen verstohlen in sich hinein, was ich am Zucken der Schultern sah. Wenigstens haben sie gelacht. Wenn auch nicht so, dass es die anderen mitbekamen.
Die Lesung war recht schnell vorbei. Unsere Anreise war länger als die Veranstaltung. Aber wir waren mal in Staaken.