Sonntagsmäander in der Schafskälte

Das war eine schwierige Woche. Die eine Kollegin war schon seit letzter Woche mit Magen-Darm ausgefallen und als ich am Montag ins Büro kam, fehlte auch Kollegin Nr. 2 mit Hexenschuß, dafür saß die neueingestellte Assistenz da und harrte ihrer Einarbeitung.
Eine Viertelstunde Panik, dann hatte ich mich wieder im Griff. Der Chef arbeitete wieder aus dem Urlaub mit und eine andere Kollegin aus dem Backoffice blieb erstmal dabei und wies die Assistenz ein. Die ist Gott sei Dank eine sehr fitte und ausgeschlafene junge Frau, so konnte sie mich bei dem, was dann kam, unterstützen. Es war die Hölle. Ich zählte am Abend zusammen – 100 Telefonate allein über meine Leitung, weitere 30, die die Assistentin angenommen hatte und den Inhalt an mich weiterleitete, dazu ca. 100 Mails und 10 Sprachnachrichten, denn die vom Wochenende waren auch dabei. Jedes Telefonat bedingt Notizen, Priorisierung, komplexere Informationsverarbeitung, Entscheidungen oder Erstellung von Dokumenten oder Texten, die per Mail rausgehen. Und oft ist es dröger, überflüssiger Kleinscheiß zu Haufen, die Dienstleister trotzdem ernst nehmen müssen, weil Service ihr Job ist.
Natürlich erinnerte sich mein Inneres an meine fitten wilden Zeiten der Selbständigkeit, wo ich es als Herausforderung annahm, solche wilden kommunikativen Wellen abzureiten. Aber das ist vorbei, ich habe nicht mehr die Kraft, daran Spaß zu finden. Ich war Abends einfach nur noch platt und kaum noch ansprechbar. – Vielleicht fehlt auch der Kick der Selbständigkeit. Wenn du rausgehst und weißt, du hast an dem Tag Summe X verdient, fühlt es sich anders an.
Am nächsten Tag besserte sich die Situation, die Kollegin mit dem Hexenschuß saß mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder am Platz und die andere Kollegin kam einen Tag später und sah bei weitem noch nicht gesund aus. Ich habe mir für Montag Urlaub genommen, um mich von der Woche zu erholen.
Es ist Hauptsaison. Ich weiß ja aus der Medienbranche, wo ich auch Sommersaison hatte, dass nach vier harten Monaten der schlimmste Ansturm wieder vorbei ist. Dazwischen liegen aber zwei Jahresurlaube, die eine Kollegin hat ein schulpflichtiges Kind, ich mache auch in den Schulferien Urlaub weil der Graf nicht anders kann (für mich eigentlich unvorstellbar, weil ich weiß, wie die anderen in den Seilen hängen werden), und ein Riesenberg Arbeit.

Es ist absurd, ich spüre, dass meine Kräfte von Woche zu Woche zunehmen und gleichzeitig vom Arbeitsansturm sofort wieder aufgesogen werden. Ergebnis ist derzeit immer ein Defizit, das ich ausgleiche, indem ich abends und am Wochenende komatös rumhänge.
Ich teile es mir gerade auf, damit ich es überblicken kann. Ich habe einen Tag X nächstes Jahr im Herbst, da werde ich entscheiden, ob und wie ich weitermachen kann, bis dahin heißt es durchhalten. Und zwischendrin muss ich mir kleine Inseln bauen, indem ich hier und da einen Tag Urlaub ans Wochenende ranhänge.

Der Graf muss da leider durch, dass grade ich kein gesellschaftsfähiger Mensch bin und mich jede Frage nach Tagesplanung nur in Panik und Angst versetzt. Primavera auch, die anrief und ihren Besuch bei uns fürs nächste Wochenende ankündigte, zusammen mit dem Derzeitigen, den wir noch nicht kennen. Das ist erfreulich, weniger erfreulich war, dass sie den Aufenthalt für den mir unbekannten Mann gleich noch für den Rest der Woche verlängern wollte, weil er in Berlin Verpflichtungen hat. Da half kein dezenter Wink mit dem Zaunpfahl, von wegen „Ich bin so unkommunikativ! Ich kann gerade nicht socialisen! Wir stehen immer so früh auf!“ Ich musste peinlicherweise die klare Ansage „Nein, das geht in der Woche auf gar keinen Fall!“ machen, obwohl der arme Mensch neben ihr stand.
Ich möchte am liebsten meine kleinen Dinge tun oder auch nicht, in meinem Tempo, ohne mich mit jemandem abstimmen oder auf jemand zu achten zu müssen. Und wenn ich was hinkriege, wie dieses Quilttop halb zusammenzunähen, freut mich das sehr.
Quilttop
So, den Rest des Tages werde ich hier friedlich vor mich hinvegetieren. und ab und zu mal eine Reihe an einem Spitzentuch stricken oder eine Wachstuch-Hülle für die Nähmaschine machen. Aber nichts, was ich muss, was abgearbeitet werden muss oder so.

Heute war der Mäander also eher ein Basta-Punkt.

PS. Telefonieren. Geht im Privatbereich gerade gar nicht. Vor allem nach dem Freundinnen-Telefonat gestern, wo ich merkte, dass ich gerade nicht in der Lage bin, auf das, was mir da mitunter übergeholfen wird, adäquat zu reagieren. Nein, ich bin gerade keine gute Zuhörerin und kann auch nicht elegant parieren, wenn mir was zu viel wird. Zu Hause jedenfalls.

3 Gedanken zu „Sonntagsmäander in der Schafskälte

  1. Wieder Danke. Neben anderem für Ihre Unerschrockenheit, mit der Sie sich und Ihre Situation beobachten, und für den Mut, diese Beobachtungen nicht nur aufzuschreiben, sondern auch zu veröffentlichen. Hilft mir. Die komatösen Zustände kenne ich. Dazu kommen bei mir noch „Rotweinkuren“. Weil ich mich sehr über die Erfolge in der Arbeit definiere („ich kann ja sonst nix …“) ist das ein geschlossener Regelkreis. Sie verzichten auf unterkomplexe Rezepte. Es ist viel interessanter, mal zu sehn, was dabei rauskommt, wenn es sein muss mit sich selbst als Laborratte ….
    Herzliche Grüße!

    • Danke zurück! Ich suche ja immer noch nach dem Ausweg. Das „ich kann ja nichts anderes“ habe ich selbst 15 Jahre gesagt. Meine 5 Jahre krankheitsbedingte Minderleistungszeit hat mir gezeigt, dass ich eine Menge anderes kann.
      Und ich danke dem lieben Gott dafür, dass ich Alkohol bei Stress einfach nicht vertrage.

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