Miz Kitty reist mit dem Grafen – Sleepwalker in Breslau

Schildbergs Schildbürger

Wir fuhren zu einer christlichen Zeit in Antonin los, es ist sehr entspannend, dass man in polnischen Hotels erst um 12 Uhr auschecken muss. Wie immer fuhren wir lieber über kleine Landstraßen, statt uns ins Lastergedrängel einzureihen.
In Ostrzeszów, deutsch Schildberg, machten wir Station, weil der Graf dringend einen Kaffee brauchte, bei dem man nicht den Grund der Tasse sehen konnte. Ein nettes Städtchen, in dem sich rund um den Marktplatz gut 20 Schuh- und Kleidungsgeschäfte sammelten, ein Anblick, den man so gar nicht mehr gewöhnt ist. Ich schaute vor allem in die Schuhgeschäfte, weil ich auf der ewigen Suche nach einem schönen, hellen Sommerschuh bin. Aber das, was meine Füße noch aushalten, ist hier im Promillebereich vorrätig und leider hässlich, beige-betongrau und trägt ein Sanitätskreuz im Label.
Beim Schlendern trafen wir einen alten Herren, der uns über die Segnung des Viehs mit Hilfe von St. Rochus im hübschen Städtchen Mikstat erzählte, durch das wir am Vortag schon gefahren waren. Der nächste alte Herr, den wir trafen, als wir an der Burgruine eine Ausstellung alter Ansichtskarten ansahen (typisch deutsche Postkarten übrigens: „Schildberg – Postamt, Bahnhof, Bürgermeisteramt, Gericht“), gab launig zum besten, dass die Polizei in der Volksrepublik mangels Ersatz noch mit einem Stadtplan unterwegs war, in dem die zentrale Straße Adolf-Hitler-Straße hieß.
Das wäre ein würdiger Drehort für eine Serie im Stil von Milos Formans Feuerwehrball.
Und hier schreibt der Graf dazu.

Auch ein Niemandsland

Später sahen wir von der Straße aus die Ruine eines großen Gebäudes. Neugierig fuhren wir hin, es handelte sich um eine Kirchenruine. Ruinen von Kirchen und Bethäusern gibt es in Schlesien häufig, denn nur in preußischen Zeiten war man hier evangelisch.
Aber frühgotische Backsteinmauern und im Schmuck romanisch, das ist reiner Historismus und für eine einfache verkommene evangelische Kirche nicht alt genug, die sind meist aus dem 18. Jahrhundert (1902, sagte die Jahreszahl am Portal), außerdem waren wir noch in Großpolen, nicht in Schlesien.
Prinz-Wilhelm-Gedächtniskirche
„TROYEZ BIRON CONSTANT DANS L’INFORTUNE“
Im Innern lagen sogar noch Reste von Parkett, der Bau war auch noch nicht von Bäumen bewachsen und das Dach des Turms schien erst kürzlich eingestürzt. Diese Website gibt Auskunft. Ein deutscher Adliger, Prinz Gustav Biron von Kurland hat diese Kirche an der Stelle errichten lassen, an der sein Sohn tödlich vom Pferd stürzte. Die Kirche war noch gar nicht lange fertig, als sie zunächst durch die Grenzziehung aus dem Versailler Vertrag vom Ort ihrer Gemeinde abgetrennt wurde und scheinbar lange unbenutzt(?) und verschlossen blieb, bis sie 1945 geöffnet und nach und nach ausgeräumt wurde.
Constant dans l’infortune. Ja.
Der Graf schreibt hier dazu und hat viele Fotos.

Breslauer Hauptverkehrsstraßen und ein feines kleines Hotel

Kennste eine von diesen Städten, kennste alle, möchte man angesichts quer durch die Stadt gefräster sechs- bis achtspuriger Magistralen sagen. Ob Köln, Leipzig oder Breslau. Unsere Unterkunft lag an einer dieser Straßen, die den Verkehr an dieser Seite des Blocks nur in einer Richtung vorbeileitete, also kreiselten wir zweimal, bis wir den Ausstieg fanden. Denn zu allem Überfluss reiht sich hier Baustelle an Baustelle, unter Verschluss von Nebenstraßen. Ich erinnerte mich wieder an meine These Ostdeutschland minus 20 Jahre – Mitte der Neunziger (btw. bemerkenswerter Tumblr!) wurden in Berlin Mitte auch die Lücken mit großen Bauten geschlossen.
Unsere Unterkunft, das Sleepwalker Boutique Suites, steckte mitten drin. Vor dem Haus Verkehr und nur ein schmaler Fußweg, hinter dem Haus entsteht gerade der halbe Block neu. Abgesehen davon, dass immer mal das Haus wackelte und das Auto auf dem Parkplatz eine fette Staubschicht davontrug, war davon drinnen nichts zu merken. Das Haus ist wie ein kleiner Kokon. Der Graf hatte uns ein blau-weißes Ein-Schlafzimmer-Appartement herausgesucht und ich hätte, wenn da nicht eine interessante Stadt gelockt hätte, sehr wahrscheinlich die zwei Tage dort drin verbracht.
Sleepwalker BreslauGut gestaltet, gemütlich und gerade mit der richtigen Menge Plüsch und Chichi, um als Gast wie eine zarte Praline wertvoll verpackt zu sein. Das mag ich.

Die Stadt rief dann aber doch. Am Abend der Ankunft machten wir erstmal eine klassische Touri-Aktion und gingen auf dem Marktplatz polnisch/schlesisch/wasauchimmer essen. Ich hatte Schweinsbraten mit Backpflaumen gefüllt, die Meerrettichsoße war zwar mal zu heiß geworden und nicht mehr scharf, dafür war der Galizische Mohnkuchen hinterher ein Gedicht.
Der Graf hatte vom Klo eine Handvoll Veranstaltungsprospekte mitgebracht. Ein gut Teil war erst in den nächsten Wochen, aber die Sonderausstellung mit flämischer Malerei im Königsschloß wollte ich mir dringend anschauen.
Das ist ohnehin Kitty-Sightseening: In die örtliche historische Gemäldegalerie gehen oder im Hotelzimmer einigeln und manchmal schauen, was einem sonst noch über den Weg läuft. Ich bin nicht soziophob. Ü-ber-haupt-nicht!
So beschlossen wir am nächsten Morgen, der mit einem liebevoll aufgebauten Frühstück begann (und vor allem mit einer Koffeinmenge, die wir in der ganzen Woche vorher nicht hatten), am Nachmittag getrennt zu marschieren. Der Graf mit der Kamera im Anschlag durch die Stadt und ich gradewegs ins Museum. Ok. ich machte zwischendurch dreimal Station in einer Kirche, aber das war immer nur der übliche Barock von der Stange…
Im übrigen erinnerte ich mich daran, dass ich bereits als Kind mal auf dem Marktplatz war. Mit einer Kollektiv-Busreise des VEB Halbleiterwerk. Das eindrucksvollste war eine alte, dicke Marktfrau mit Warzen im Gesicht, die dasaß wie eine Barlach-Figur und ein Wollkopftuch umhatte und um dieses Kopftuch kroch eine riesige Kreuzspinne.

Landkarten statt Breughel

Die Dame im Königsschloss lachte herzlich, als ich ihr den Prospekt zeigte und nach der Ausstellung fragte. Der wäre vom vorigen Jahr und wenn ich alle anderen Ausstellungen sehen wolle, müsste ich mich beeilen, das Museum schließe in anderthalb Stunden. Also hoppelte ich durch die Sonderausstellung, die Landkarten Schlesiens und Panoramen Breslaus von Vierzehnhundertquetsch bis Achtzenhnhundertquetsch zeigten. Hätte ich einen Blick für Details, könnte ich würdigen, wie verschiedene Landkartenmaler die Ur-Karten, die aus Messungen resultieren, miteinander vermischt haben.
Die Ansichtskarten, von denen oben im ersten Abschnitt die Rede war, sind ein Schatten der Stadtpanoramen der vorhergehenden Jahrhunderte, in denen Städte ihre Macht demonstrierten, indem Befestigungen und Sakral- und Herrschaftsarchitektur vorgezeigt wurden. Im fünfzehnten Jahrhundert können solche Panoramen wie ein Wald potent gereckter Kirchtürme aussehen.
Mich interessierten eher die Details am Rande.
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Die anderen Räume hatte ich schnell durchwandert. Was mir angenehm auffiel, dass die Historie nicht patriotischen Gesichtspunkten untergeordnet war. Es passiert in Polen ganz schnell mal, dass einem jeder größere Stein als Beleg für das ewige, immer existente großpolnische Reich verkauft wird, vor allem in lange deutschen Gebieten, irgendwann reagiert man da nur noch mit „Ja. Nee. Isklar.“ darauf. Der Saal „Breslauer Eliten“ stellt die Völker, die Breslau ausmachten, weitgehend gleichberechtigt nebeneinander.
Hier fand ich auch ein schönes Zitat von Karl von Holtei, das sich aufschreiende Menschen zu Herzen nehmen sollten:
„…seyd einig! Trachtet nicht nur, die Ketten, die euch andere geschmiedet haben, abzuwerfen! Zerbrecht auch die eignen, inneren Fesseln. Tödtet den Neid, die Selbstsucht, die Sklaverei. Nur freien Herzen will Gott die Freiheit senden.“
Word.
Der Saal über die 70er und 80er rührte mich sehr. Tadeusz Różewicz lebte hier bis vor ein paar Monaten. Als aufgeklärter, kulturell interessierter DDR-Bürger kam man an ihm nicht vorbei. Theater. Rockmusik. (Wenn sie sich als Jazz verkleidete, war sie möglich.)
plakat
Dieses Plakat hing in meiner Kindheit und Jugend in den Wohnungen derer, die anders waren. Für jemanden aus dem Westen ist es schnöde Pop Art, für Leute aus dem Osten die Verheißung, dass es noch ein anderes Leben als das politisch korrekte gibt.
Gleiches gilt für Czeslaw Niemen. (Achtung Gedankensprung, der kommt nicht aus Breslau.)  Für jemanden, der die Musik noch nie zuvor gehört hat, ist das wahrscheinlich epigonaler Poprock. Für mich und viele andere Gänsehaut.
https://www.youtube.com/watch?v=IJmg5_ROsJE

Die grüne Fee, nein erst Feniks

Vor der grünen Fee kam ein Besuch ein Kaufhaus Feniks, einst das Warenhaus der Gebrüder Barasch. Auch so ein großes Haus sieht aus wie alle anderen schönen alten Warenhäuser im Lande: Die Abteilungen werden von Einzelhändlern betrieben oder aber sind in Einzelverkaufsstände aufgeteilt. Die Existenzkrise der Warenhäuser hat große westeuropäische Konzerne daran gehindert, Kaufhäuser in ersten Lagen zu eröffnen. Was man hier sieht, ist ein kleines Fenster zur Ostblockatmosphäre von früher und jede Menge einheimischer Waren. Ich gehe ohnehin gern im Ausland in unmoderne Haushaltswarenläden, weil ich dann sehe, wie die Menschen leben. Das ist das kulturell Konservativste und Globalisierungsresistenteste, was man sehen kann, schon weil das Sortiment oft Jahrzehnte alt ist. Für reichlich zwanzig Euro kaufte ich einen grau emaillierten Teekessel und eine gläserne Puddingform. Die klassische gläserne Zitronenpresse kostet hier übrigens immer noch einen Euro, bei Manufactum ein vielfaches.

Bald fand sich auch der Graf wieder ein und wir saßen in einer der zahlreichen Hipster-Kneipen in der Altstadt und ich trank Bubbletea für Erwachsene – Aperol Spritz mit Blaubeeren.
Bubbletea für Erwachsene
Dann zogen wir weiter auf der Suche nach etwas zu essen. Unsere Twitter-Umfrage brachte keine Tipps, aus zwei Läden gingen wir wieder raus, weil zu laut, zu kalt, zu studentisch schrappelig und landeten im La Fee Verte, einem französischen Restaurant, in dem ich im Schwung der französisch-polnischen Speisekarte versuchte, auf Französisch zu bestellen. Das verstand aber niemand, auf Englisch klappte es aber prima. (Ick werd uff meene alten Tage noch polyglott.)
Es gab weiche Sessel, leckeres Essen, feinen Wein und hinterher noch Creme Brulee, im Hintergrund lief gute Musik, Herz, was willst du mehr.
Um Mitternacht liefen wir quer durch die Altstadt nach Hause, es hatte sich sehr abgekühlt, wir fielen ins Bett und ich wurde nur einmal kurz aus dem Tiefschlaf wach, als man auf der Baustelle alle Lichter anschaltete, um einen Schwerlasttransport zu empfangen.

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