Kartoffelkuchen

Dieses Jahr wäre ich gern wieder im Endspurt, um den Laden Anfang Dezember dicht zu machen und Deutschland der Weihnachtsnerverei zu überlassen. Ich würde derweil auf Fuerteventura die Touristen links liegen lassen und durch die kleine Sahara und das Jandia-Gebirge wandern und den Entitäten vom Tindaya einen Besuch abstatten. Ja, ich liebe Landschaften ohne Vegetation, bei der man die Erdformationen sehen kann, ich liebe die Ursprünglichkeit der Elemente: Wasser, Luft Sonne, Erde, alles ist dort pur und stark.
Aber es ist nun alles anders und das hat seinen Sinn. Man gewinnt nichts, ohne anderes zu verlieren.

Morgen kommt das Kind zum Plätzchenbacken und in zwei Schubladen reifen schon vier gut verpackte Stollen, die ich zum zweiten Mal inspiriert von Kaltmamsell nach dem Rezept von Bäcker Süpke, gebacken habe.
Stollen backen ist bei uns Familientradition, kam der eine Zweig doch aus dem erzgebirgischen Vogtland. Oma Charlotte hat, auch nachdem es uns in Oderkaff verschlug, jedes Jahr zwischen sechs und acht Stück gebacken.
Für arme Erzgebirgler war Stollen Luxus und Symbolik zugleich. Man aß zu Weihnachten Neunerlei, also alles, was es sonst oft oder selten zu essen gab auf einmal und für jede Speise gab es einen Grund. Der Stollen, im November gebacken (das ganze Dorf brachte ihn zum Abbacken zum Bäcker und steckte kleine Blechnamensschildchen hinein)  und Wochen gereift, wurde bei uns erst am späten Weihnachtsnachmittag angeschnitten und leitete das Fest ein. Der Stollen hieß Leben, denn er darf nicht zerbrechen, sagte Oma immer und sie hatte das wiederum von ihrer Oma. Zerbricht einer, stirbt jemand aus der Familie im nächsten Jahr. Deshalb trugen wir ihn wie ein rohes Ei. In mancher Gegend wurde der Teig wie ein Wickelkind zusammengeschlagen – schön zu sehen in der Fotoserie der Kaltmamsell. (Bei uns wurde er in einen Laib geformt wie ein Brot und einmal mittig eingeschnitten, gebuttert und gezuckert wurde er erst einen Tag vor dem Anschneiden.)
Mit dem Stollen wurde so gegeizt, dass er über die harten kalten Monate reichte und der letzte Rest wurde zu Ostern in den Kaffee geditscht.
Bei Oma Lotte litt er manchmal an zu großer Trockenheit, wie ihr sämtlicher Kuchen. Sie gehörte noch zu der Generation, die mit der Hälfte der Butter Kuchen fertigte und auch mit Zucker geizte. Ich teste grade, wie ich es anders hinbekomme. Es ist nicht nur die Menge von Fett und Zucker, das Rezept von Bäcker Süpke ist vor allem in der Behandlung des Teigs völlig anders. Bei Oma wurde der Teig mit allen Zutaten ewig geknetet und wurde wahrscheinlich deshalb manchmal so betonhart. Meine Versuche sind schon ganz gut, ich muß noch etwas an der Backtemperatur arbeiten und die Form ist auch noch optimierenswert. Ich bin gespannt, wie er dieses Jahr schmeckt.
Aber was ich bisher nirgends fand, war

Kartoffelkuchen.

Das kennen wirklich nur die Erzgebirgler und Vogtländer. Da es so streng gehandhabt wurde, den Stollen auf keinen Fall vor Weihnachten zu kosten, standen die Leute einen Tag im November in duftenden Schwaden ohne Kuchen zu bekommen. Und so kam man auf die Idee, etwas Stollenteig abzuknapsen
stollenteig
und mit gekochten Kartoffeln zu vermengen, kalt gerieben oder durchgedrückt
kartoffeln
Ich habe das im Verhältnis 1:1 gemacht. Andere nehmen mehr Teig.
vorher
Das Ganze kommt 2 cm hoch auf ein Blech oder – wenn man so wenig hat wie ich – in eine Form, geht noch mal 10 Minuten und wird ca. 40 Minuten gebacken. Danach wird er noch heiß mit flüssiger Butter bepinselt und mit Zimtzucker bestreut.
nachher
Der Kartoffelkuchen wird lauwarm oder sehr frisch gegessen, am nächsten Tag schmeckt er nicht mehr, man kann ihn aber gut halbfertig backen und einfrieren. Bei uns war es Tradition, dazu Malzkaffee zu trinken, warum auch immer.

Nun schleiche ich um die vier schlafenden Stollen. Die Familientradition ist schon lange gebrochen, wir haben Omas Backwerk immer schon an einem Adventssonntag angeschnitten, nur wissen durfte sie es nicht, das hätte Ärger gegeben.

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4 Gedanken zu „Kartoffelkuchen

  1. Ich hatte immer angenommen, der Stollen sei ein Vorweihnachtsgebäck. Der Trick mit dem Kartoffelkuchen ist aber sehr charmant.

    • Irgendwann in den 80ern hörte ich zum ersten Mal den Begriff „Adventsstollen“. Bei uns war das immer Weihnachtsstollen.
      Da gibt es auch einen deutlichen Unterschied zwischen der väterlichen und mütterlichen Familie. Letztere waren einfache Leute und hatten oft wenig Geld oder Zugang zu Lebensmitteln. Da gab es keinen Süßigkeitenoverkill in der Adventszeit, so dass man nach Weihnachten keinen Stollen mehr mochte. Es gab Süßes eigentlich immer nur geschenkt oder zu Festen, selten einfach so.

  2. Pingback: Results for week beginning 2014-11-17 | Iron Blogger Berlin

  3. Wunderbar! Wir bekamen immer einen Stollen von Verwandten aus dem Erzgebirge geschickt. Meine Mutter behandelte sie wie kl. Heiligtümer. Nun sind sie alle nicht mehr: diese Verwandten, Mutter und die original familiengebackenen Erzgebirgsstollen.

    Das mit dem Kartoffelkuchen wusste ich bisher auch nicht, finde es aber eine sehr charmante Idee

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