Heute morgen brachen wir in Ryzyna auf, während zeitgleich eine Hochzeitsgesellschaft eintrudelte. Gestern wurde bereits der große Ballsaal gerichtet, wie wir bei unseren Erkundungen sahen.
Wir fuhren diesmal eine entspannte Strecke zum nächsten Ziel, schlicht die Fernverkehrsstraße entlang, ohne Irrfahrten über die Dörfer. Wir hielten einmal kurz, um eine Klosterkirche anzuschauen, und dann ging es weiter. Was auffiel: Polen prosperiert. Überall neue Straßen und nagelneue Einfamilienhäuser. Voriges Jahr in Niederschlesien schien bei weitem nicht so. Die Frage ist, ob das ein allgemeines Wachstum des letzten Jahres ist oder speziell Großpolen betrifft, wo die Bevölkerung seit Generationen ansässig ist und nicht wie in Schlesien aus armen und ungelittenen Polen besteht, die dorthin in die Häuser der Deutschen verpflanzt und lange Zeit nicht richtig heimisch wurden.
Die Fahrt über Land erinnerte mich an den Aufbau Ost in Sachsen-Anhalt in den späten 90ern. Neue Gehwege, Autos, Straßenbeleuchtungen, Denkmalrestaurierungen, Häuser etc. Erst kommen die Baumarktsanierungen der Hausbesitzer, ein paar Jahre später die Häuslebauer auf der grünen Wiese, flankiert von Möbelmärkten in Scheunen und alten Kaufhallen.
Waren es voriges Jahr im Hirschberger Tal pro Ort nur ein oder zwei „Biznesmeni“, die sich ein Haus mit Säulen am Eingang und einen schmiedeeisernen Zaun mit Steinpfeilern hinbauten, sind es diesem Jahr und in Großpolen viele.
Komisch ist, dass gerade in den Boomgegenden keine sichtbare Industrie vorhanden scheint. Die ist in Ecken, die wesentlich bescheidener daherkommen. Ist die Verwaltung und der öffentliche Dienst erst einmal schneller am Geldtopf?
In Jarocyn bzw. Witaszyce, wo wir letztlich abstiegen, sind eine Ziegelei, eine Stahl- und eine Zuckerfabrik und der Laden, der garantiert, dass wir in Berlin auch morgen noch kräftig grillen können. Die Leute wohnen trotzdem bescheidener. Das ist sonderbar.
Das Gutshaus in Witaszyce ist ein sonderbarer Stilmix, mal kommt es barock, mal klassizistisch daher und im Grunde ist es sicher zu Geld gekommene Gründerzeit. Der Gutshof wird von der Straße zwischen Katowice und Poznan durchschnitten, auf der anderen Seite liegen noch die Kirche, Personalgebäude und der Pferdestall. Die Wände sind meterdick, überall gibts ionische Säulen (die muss es hier mal im Dutzend billiger gegeben haben) und im Garten steht ein Panzerwagen (SPW 70???)
und daneben der Eingang zu einem Atombunker
und eine Gulaschkanone hat sich in die Büsche geschlagen. Im Nebenhaus gibt es ein Museum mit Dioramen zu den Napoleonischen Kriegen. Hier hatte wohl mal ein militärbegeisterter, etwas paranoider Funktionär das Sagen.
Unser Zimmer ist gar fürchterlich repräsentativ und stilvoll
aber leider auch fürchterlich dunkel und ziemlich straßenlaut, denn die Herrschaften wollten früher schließlich auf den riesigen Balkon treten und den Überblick haben, wer gerade geritten kommt. Außerdem bin ich jetzt endgültig von dem Gedanken geheilt, dass dunkle Wände toll sind. Sobald die Sonne weg ist, machen sie nur depressiv.
Unten tobt eine Geburtstagsgesellschaft und man hatte uns das Essen auf das Zimmer gebracht, Schweinsgebratenes mit Pilzen und Zwiebeln, dazu Kartoffelbrei und Gemüse. Sehr lecker.
Morgen ziehen wir nach Besichtigung des Museums weiter und machen dann das Schnösel-Kontrastprogramm im neusanieren Gutshaus zwei Dörfer weiter.
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