In der alten Burg an den Seen blieben wir nur eine Nacht. Erstens wollten wir noch andere Locations sehen. Zweitens hat eine Mittelalterfestung nicht so den Wohnwert. In Zeiten, wo man meterdicke Mauern mit Fensterschlitzen turmhoch auf Berge häufte, um zu verhindern, überfallen zu werden und Menschen draußen Eisenklamotten trugen, um zu überleben, war entspannte Gemütlichkeit ein Fremdwort. Drittens war Lagow ein typisch polnischer Massen-Urlaubsort: Viele Bierkneipen, viele Schnauzbärte und Frauen mit laminierten Fingernägeln. Am Wochenende drohte außerdem ein Bikertreffen.
Wir fuhren also nach Südosten, in Richtung Grosspolen, nach Rydzyna, wo das größte polnische Barockschloß seht. Irgendwie verfransten wir und auf den Straßen in Richtung Baby Most und landeten auf einer Straße, die vom Ort Świebodzin wegführt und waren plötzlich in Las Vegas. Die eine Perspektive war diese:
Und die andere diese:
Netz-Informationen besagen, man wollte die welthöchste Christusstatue bauen. (Ok., ich könnte jetzt ein klein wenig spitz werden und daran erinnern, dass man auch bei fettestem Nebel auf einem russischen Flugplatz mit inkompatiblem Landepeilsystem ankommen wollte.) Aber der Heiland sieht sehr gelungen aus und man hat es hier mit der Religion. Jeden Nachmittag stehen Leute vor den Kirchen und warten auf die Messe und die Botschaft wird mit Lautsprechern nach draussen übertragen für die, die sich lieber draußen auf dem Parkplatz unterhalten wollen. Und hier ist die Website des, ähem, Herren.
Schloss Rydzyna, das wir nach endloser Gondelei über die Dörfer (es hat hier sehr viel Gegend) am Nachmittag erreichten, ist riesig und hat eine spannende Geschichte. Im Besitz eines polnischen Königs – Bildungsanstalt – Napola – Ruine – Sitz des Polnischen Ingenieurs- und Technikerbundes. Man muss wissen, das ist hier the middle of nowhere. Keine Ahnung, warum es dieser Riesenkasten zum politischen und kulturellen Zentrum Grosspolens mit Theater und Eliteschule geschafft hat. Viel Original ist nicht mehr übrig, denn das Gebäude wurde erst in den 70er Jahren wiederhergestellt, nachdem die Sowjetarmee es 1945 angezündet hatten. Aber wir schlichen heute der Putzfrau hinterher in wunderschön und pompös ausgestattete Säle. Ansonsten ist das alles ziemlich aus der Zeit. Man stelle sich den Palast der Republik vor, in dem nur noch ein paar Leute Dienst tun. So ist das hier, ein Mix aus Sozialismus mit westlichem Schick, absolut nicht proletarisch, sondern eher gebildet-intellektuell, aber ästhetisch unbedarft (Techniker und Ingenieure eben). Eine riesige Location, aus der sich viel machen ließe, aber jammerschade, wenn dann in ein 10 qm-Bad die winzigste Acryldusche eingebaut wird, die der Baumarkt hergibt und sämtliche Ablagen fehlen. Es müssen drei oder vier Zimmer der knapp 50 vermietet sein, mehr nicht. Wir haben ein großes Gemach unter dem Dach bekommen, das genau die Blickachse auf die klassizistischen Wirtschaftsgebäude bietet und ein Fensterbrett in Mauerbreite hat (also 1,50m), auf dem ich gestern schon saß und noch einen Reissverschluß ins graue Kleid nähte. Ich liebe es, auf breiten Fensterbrettern zu sitzen, das habe ich schon in Uromas jahrhundertealtem Haus gemacht. WiFi gibt es dort leider nur auf dem Flur an einer riesigen Couchgarnitur, aber diesmal wollten wir das Zimmer nicht downgraden, wir sind eh mit einem älteren Ehepaar die einzigen auf der Etage, die aus vier je 40 Meter langen Gängen besteht. Und die Betten, nun ja, sie stehen zusammen, sind aber federleicht, ich bin heute nach fast durchgerutscht, weil sie auseinanderdrifteten.
Über unserem Zimmer liegt das Kabinett des Dr. No, das einen Eindruck davon gibt, was hier abgegangen sein muss, als das Schloss noch Tagungs-, Erholungs- und Weiterbildungsstätte der polnischen Ingenieure war. – Zu sehen beim Grafen.
Ansonsten segele ich gerade tief in die Entspannung und musste nach dem Frühstück erstmal eine Runde schlafen, es regnet sowieso immer wieder und die Erkundungsgänge im Schloß versprechen spannender zu sein als die ins Dorf, da liegt nämlich der Hund begraben.
verrutschende betten, wie fürchterlich.
es lernt uns: man reise nie ohne ausreichend strick.
genau! wir haben schon überlegt, ein Verliebten-Rettungs-Set zu entwickeln.