Vorab, ich muss enttäuschen, hier wird es nix Genähtes zu sehen geben. Ich peile das Finale der Herzen an.
Würde ich in Bayern wohnen, sähe das sicher anders aus. Aber ich bin noch mal sehr in mich gegangen und habe darüber nachgedacht, warum ich meine Königsee-Dirndl nie in Berlin trug und warum das (schöne!) ländliche Hirschlederkleid im böhmischen Wintersportort eher ein Lacherfolg war.
Klar, in Berlin kann man alles tragen. Letzten Winter lief eine Italienerin durch unsere Straße, die trug eine peruanische Indiotracht. Aber ich käme mir doch sehr verkleidet vor.
Also geht es mir grade nicht um die Frage: Balkon oder nicht, Puffärmel oder keine und welche Stoffe kombinierte ich? Ich frage mich immer noch, welche Elemente von Tracht für eine Frau in der preußischen Großstadt verwendbar sind.
Auf jeden Fall alles, was weibliche Formen bekleidet, ohne sie einzuengen (oder nur an den richtigen Stellen) – Mieder und weiter Rock gehören für mich dazu und was weiblich, aber praktisch ist* – dazu zählen für mich die Möglichkeit, Schichten übereinander zu tragen, ohne die weibliche Silhouette zu verlieren.
*ein Großteil weiblicher Mode ist entweder so, dass Frau ausgezogen oder hauteng umwickelt ist und auf ihren (möglichst Idealnormen entsprechenden) Körper hinweist oder aber durch diverse Accessoires hilflos wird, so dass sie weder richtig laufen noch arbeiten kann.
Erstmal kommt ein kleiner Exkurs. Der Graf hatte mit ein sehr schönes Buch über die sorbische katholische Tracht geschenkt. Es basiert auf Bildersammlungen und Aufzeichnungen von Jan Meschgang (oder Meskank), einem Lehrer und Volkskundeforscher und wurde in den 80ern noch einmal von Lothar Balke, ebenfalls einem Trachtenforscher und Heimatkundler ergänzt.
Dazu muss man wissen, dass solche Veröffentlichungen in der DDR nicht sooo üblich waren, weil rückwartsgewandt und konservativ im Wortsinne, und i.d.R. die Minderheit der Sorben als politisch korrektes Traditionssgebiet galt, weil diese in der Nazizeit diskriminiert und germanisiert wurden. (Sozusagen das Arbeiterundbauern-Wiedergutmachungsprojekt der DDR, mit den Juden hatte man es ja nicht so, Stalin mochte die schließlich auch nicht.)
Klar gab es Trachten- und Traditionsgruppengruppen und Besinnung auf den bäuerlichen oder handwerklichen Ursprung der Arbeiter, dazu auch jede Menge universitäre Forschung. Aber Volksgut wurde nur noch festtags inszeniert und nicht mehr gelebt und stand ziemlich unter Beobachtung, damit nicht zuviel „gute alte Zeit“ hochgeholt wurde und wurde in der Regel begleitet von dem oft berechtigten Satz „Wie gut es uns heute dagegen geht!“, denn salonfähig war nur die Vergangenheit der Armen und Entrechteten. Alle diese Dinge wurden ganz streng in den politisch korrekten Kontext gestellt, sonst ging das gar nicht.
Bestimmte vom Staat respektierte Traditionen wurden von den Menschen ausgiebig gelebt, um zumindest eine gefühlte Autonomie zu bewahren und nicht alles ideologisch glattzubürsten. Dazu hat der Spiegel gerade eine sehr schöne Geschichte, die von den Katholiken des Eichsfelds handelt.
In dem Buch tauchen so schöne Fotos auf wie dieses:
schaut man genau hin, stammt das Brusttuch mit den grafischen Dekors aus den 60ern.
Aber auch Zeitdokumente wie dieses:
Das muss in den 80er Jahren gemacht worden sein, wenn man sich die Krawatten der Männer anschaut und in die Datierung die Fakten Provinz und DDR mit einbezieht. Der Kontext ist leider unbekannt (es könnte sich natürlich auch um ein Trachtenfest handeln), aber auch damals trugen die Frauen in der Gegend um Bautzen und Hoyerswerda bei Festen individuelle Trachten.
Außerdem enthält das Buch Zeichnungen für die einzelnen Kleidungsstücke.
Und mit diesem Mieder bin ich zum Thema zurückgekehrt. Ein simpler Schnitt, der alte Händnähtechniken verrät – das Mittelteil des Mieders wird so angesetzt, dass es der Trägerin auf den Leib angepasst werden kann, meist mit satten Nahtzugaben, damit die Teile ausgelassen werden können, denn sie sollten Jahrzehnte halten.
Was mich bei aller schönen Schlichtheit ein bisschen stört, ist der „Balkon“, denn diese Mieder sollten prächtig bestickte Brusttücher präsentieren. Ich werde doch auf meinen gut angepassten Oberteilschnitt zurückgreifen und den Ausschnitt etwas hochziehen. Die gerade Kante wiederum gefällt mir und auch das Schößchen, das aber eine Rundung bekommt und keine steifen Falten.
Warum ich nun so ein Gedöns mache? Darum: Zu diesem Mieder gehört ein schönes schlichtes, gewickeltes Leinenhemd.
und ein Spenzer. Der mittlere ist mir zu kurz, der untere gefällt mir gut. Den Spenzer tragen ältere Frauen oft nur noch oben zugeknöpft, aus Paßformgründen und dazu fiel mir etwas ein, das ich bei Mama macht Sachen** (große Leseempfehlung übrigens!) gesehen hatte: Dieses freigestellte graue Kostüm in der Mitte des Moodboards. Knöpf die Jacke einfach an die andere Klamotte, statt dich überm stattlichen Bauch zuzuwürgen.
Unterm Mieder und überm Dekolleté wird es daher was Gewickeltes geben und der Spenzer wird links und rechts angeknöpft, das Schößchen vom Mieder schaut unten hervor.
So.
Und hier geht es zu den anderen Näherinnen, die natürlich viiiiel weiter sind.
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