Sie sind immer noch nicht in Polen. Heute Vormittag kam die Nachricht, daß sie immer noch an der Grenze warten.
Aber es ist beruhigend, daß es dort nicht gefährlich zu sein scheint.
Der Tag war heute sonnig und kalt. Bevor wir rausgingen, organisierten wir noch etwas rum. Ein Telefonat scheint eine ganz gute Wirkung zu haben, schauen wir mal.
Dann räumten wir draußen noch einmal Holz herum.
In der Dämmerung drehten wir eine Runde in Richtung Kuhstall. Denn da war heute ordentlich was los. Laute Unterhaltungen und alle standen vorn am Gatter. Ich versuchte, eine Kuh zu streicheln, sie wollte mich lieber anlecken. Es gibt schon eine Menge Kälber, die so klein sind, daß sie überall durchpassen und so springen sie auch auf der Straße herum.
Abends heizte ich ordentlich an, es wird sternenklar und gibt Frost.
Archiv der Kategorie: Leben
25.02. 2022
Regen, Sonne und Wind und nicht so richtig warm und angenehm.
Gestern Abend hatte der Graf kurze Zeit eine Agria mit Hänger, heute hat der Verkäufer einen Rückzieher gemacht. Wer weiß, wofür es gut war, sie stand im tiefen Westdeutschland.
Die drei Flüchtenden (einer davon fünf Jahre alt) sind immer noch nicht in Polen angekommen, scheint es. Heute am ganz frühen Morgen kam die Nachricht, sie wären 200km vor der Grenze. Am Nachmittag hieß es, sie wären jetzt am 20km langen Rückstau an der Grenze angelangt. Beruhigend, sie scheinen zumindest aus der Gefahrenzone raus zu sein.
In solchen Situationen wie der jetzigen distanziere ich mich oft innerlich, um sie auszuhalten. Ich bin nicht sicher, ob wir der Live-Variante eines haarsträubenden Action-Films zusehen (Wo ist dann der heldische Retter, ob im verschwitzten Unterhemd oder im gut sitzenden Anzug?) oder einer Tragödie. Wir erinnern uns: In der Tragödie handeln alle, wie sie handeln müssen, sie können nicht anders, haben keine Wahl. Alle Figuren und ihr Dahinter, ihre Clans und Völker, sind zu verstrickt miteinander und in ihre Kulturen. Würden die Akteure wählen, würde die Katastrophe noch größer. Und: Kein Tyrannenmörder, nirgends. Wo sind die Phantasten mit den Sprengstoffrucksäcken, wenn man sie braucht?
Sonst war der Tag nicht sehr produktiv. Arbeit an einer bürokratischen Angelegenheit, die um 13 Uhr ins Stocken kam, weil das Büro, mit dem gesprochen werden mußte, nicht mehr besetzt war. Freitag um eins macht jeder seins ist hier ehernes Gesetz. Hilfestellung von den Freunden drei Dörfer weiter in dieser Angelegenheit, glücklicherweise.
Ein bißchen geräumt, aber nicht viel, gekocht, gestrickt (ich fange gerade etwas neues an und weiß noch nicht so recht, was) und nur kurz draußen gewesen zum Holz holen. Jetzt ist höchste Zeit fürs Bett.
24.02. 2022
Eigentlich muß man über diesen Tag nicht viel sagen und doch muß es aufgeschrieben sein.
Heute morgen weckte mich die Nachricht vom Kind, daß ihr sozialer Vater, der seit zwei Jahren mit seiner Familie in Kiew lebt, nun doch Richtung Westen fahren will. Vor ein paar Tagen war er noch ganz gelassen. (Es kam am frühen Nachmittag noch die Nachricht, sie wären unterwegs und kämen gut vorwärts, seither hörten wir nichts mehr. Das ist nicht beruhigend. Hoffen wir das Beste.)
Als ich nachlas, was über Nacht passiert ist, war mir schlecht. Ich bin unter der Suggestion ständiger Kriegsbedrohung aufgewachsen und die Reflexe funktionieren noch. Sämtliche Ortsnamen kenne ich, in vielen Städten war ich schon, wenn auch vor 40 Jahren.
Als der Graf wach war, besprachen wir, ob wir irgendetwas tun müßten, sahen aber erst einmal keine Notwendigkeit.
Fazit dieses Tages: Wir fragen uns, ob dieser Mann in der Corona-Zeit im Kreml verrückt geworden ist. Die Vorhaben („Entnazifizierung“, „Genozid“) und Drohungen („Helft denen ja nicht, sonst erlebt ihr etwas, was ihr noch nie erlebt habt.“), hören sich ganz danach an.
Alles andere liegt nicht in unserer Hand, nicht in der von Privatpersonen, aber es ist eine riesengroße Scheiße.
Am frühen Nachmittag schalteten wir den Fernseher aus und legten uns erst einmal hin. Anderthalb Stunden später gingen wir raus, ich sammelte und fuhr Holz, der Graf arbeitete mit der Motorsäge bis es dunkel wurde. Mimi begleitete mich, Shawn kam irgendwann gähnend aus einem Eckchen und fragte an, ob es bald was zu essen gibt.
Ich koche dann noch unaufwändig und heizte den Ofen an.
Jetzt ist Schluß mit dem Information Overkill. Ich gehe ins Bett und hoffe, daß die drei, die da noch irgendwo wahrscheinlich auf der E40 Richtung Westen unterwegs sind, heil ankommen werden.
23.02. 2022
Wenig mit den Händen getan. Der Graf verfaßte einen Brief, der wurde in der nächsten Kleinstadt mit ausgedruckten Fotos auf den Weg gebracht.
(BTW Knapp 30 km fahren für einen Drogeriemarkt mit Fotodrucker.)
Dann ging es weiter ins Land mit schönem Vorfrühlingslicht und viel Wasser in Flußauen, Mooren und auf Feldern.
Wir kauften Kohlen. Mal abgesehen davon, daß dort, wo im Supermarkt die Kohlenpalette ist, jetzt Blumenerde steht, es wird ja Frühling, wird das mit den Briketts wahrscheinlich demnächst lustig. Vor zwei Jahren wurde Hefe gekauft, jetzt Kohle. Außerdem wird im Moment wieder mehr der Kachelofen geheizt, statt teuren Brennstoff in der Zentralheizung zu verbrauchen. Dazu kommt irgendwann der deutsche Kohleausstieg. Na gut, Kapitalismus, dann wird es polnische Briketts geben…
Nach unserer Rückkehr bügelte ich nur noch eine Leinentischdecke, räumte die Küche auf und heizte Öfen an.
Der Pullover wurde fast fertig, für die letzten Fäden muß ich morgens noch mal ran, ich habe meine Schere im Sessel verlegt.
Die nächsten zwei Folgen ZERV waren mir keine Freude mehr. Der Graf moserte, warum in der Primetime im ersten Programm zwei Serienfolgen laufen, das wäre doch Netflix, mich störte das nicht.
Bei mir schmerzte das Dramaturgenorgan. Die erste Folge und die Figurenexposition war cool und lustig. Ein bißchen weglachen von Zeiten, die nicht lustig waren, wie in Sonnenallee und Good Bye Lenin. Der zweite Teil baute die Problemkulisse auf, ja ok, das ist in Ordnung.
Die dritte und vierte Folge waren eine Mischung aus ARD-Familienfilm und Seifenoper mit Krimideko. Personnage: Immer alle Generationen – Oma, spätpubertierendes Kind, Mama, Ex-Papa als komische Figur. Das ist das Rezept von öffentlich-rechtlichen Wohlfühl-Filmen. Daß die Figuren immer miteinander verstrickt sind, sofort in Beziehung zueinander stehen, alles im engen Personenpool, selbst die Kriminalfälle haben enge Verbindung in den Hauptcast. Das ist Seifenoper. Muß das sein? Dann macht doch 3 Folgen mehr und leistet euch Erzählstränge, die von draußen reinkommen mit Figuren, die ordentlich eingeführt werden und mit niemandem verwandt und verschwägert sind. Alles andere ist Flachsinn und Inzest.