Von der Armut des Künstlers

Vor ein paar Stunden:

@kittykoma says:
@holgi @nsemak Musiker wollen von ihrer Arbeit leben. Das ist erstmal legitim. Wer sagt, daß der selbstausbeutende Künstler der bessere ist?

@holgi says:
@kittykoma Wer sagt, dass die Arbeit, von der der Musiker leben will, etwas anderes sein soll, als die unmittelbare Aufführung?

@kittykoma says:
@holgi Das ist als würdest du nur noch bezahlte Handwerksarbeit akzeptieren keine Industrieware. Kutsche statt Auto.

@holgi says:
@kittykoma Heute haben wir Internet zur Verbreitung. Da wird also auch nichts zurück gebombt, sondern es passiert Fortschritt.

@kittykoma says:
@holgi ok., das akzeptiere ich. Des ist ja auch unwidersprochen, daß das Erlösmodell der GEMA unzeitgemäß ist.

@holgi says:
@kittykoma Ich glaube sogar, dass die Erlöserwartung der Kulturschaffenden unzeitgemäß ist. Vermutlich sogar unzeitgemäß hoch.

@kittykoma says:
@holgi das ist nachdenkenswert.

Das läßt mir keine Ruhe. Denn schließlich würde das bedeuten, daß der Künstler – im Gegensatz zu Ingenieuren und anderen Erfindern und Ideenlieferanten – auf das Recht der bezahlten industriellen Nutzung seines Produkts verzichtet. Er hat also Handwerker zu bleiben in der Zeit technischer Reproduzierbarkeit. Logische Folge: seine Handwerksarbeit wird unmäßig teuer und der Anspruch an die Qualität seiner Arbeit extrem hoch.
(Hier auf der Barnimkante streikt immer mal die Gastherme. Der Handwerker, der kommt, hat einen sehr hohen Stundensatz. So hoch, daß man irgendwann die Rechnung aufmachen kann, daß sich der Kauf eine neuen Industrieproduktes Therme sich eher lohnt, als die ewigen, „wir tauschen heute mal dieses Teil für 150 € aus und schauen, obs klappt, wenn nicht, komme ich wieder“-Aktionen.)
Handwerkarbeit hat Nachteile. Wenn ich 100 € für eine Konzertkarte bezahle und der/die Künstler sind blöd drauf, harmonieren nicht mit dem Publikum, haben grade andere Probleme oder sind aber einfach über den Zenith ihrer Schaffenskraft hinaus (siehe Whitney Huston) und nicht das erhalte, was ich eigentlich vom Künsteler erwarte, dann habe ich als Kunstkonsument ein Problem. Für einen Künstler würde das bedeuten, so er flüchtige, nichtgegenständliche Kunst produziert, daß seine Werke einem extremen Verfall unterliegen.
Gerade das Problem, daß die Kunst von Schauspielern, Sängern und Musikern bis an die Schwelle der industriellen Moderne nicht kopiert und erhalten werden konnte, würden wir damit wieder bekommen. Ist die Ilias des Homer weniger „wert“, weil wir ihn das nicht mehr vortragen hören? Oder sollten die Homers der Neuzeit sich mit Kost und Logis als Lohn zufriedengeben, wie einst der Urvater?

Doch halt! Es ist noch komplizierter. Der Urheber des Werkes ist derjenige, der das Werk fixiert, existent macht. Der Komponist mit Noten, der Texter/Autor mit Worten, der Fotograf/Kameramann/Maler mit Bildern. Der Begriff Urheberrecht ist also ganz eng mit der Technologie von Aufzeichung und Archivierung verbunden. Das muß nicht unbedingt der Mensch sein, der das Werk zur Aufführung bringt. Der Sänger/Musiker/Schauspieler erbringt oft nur eine Leistung unter Nutzung des Werkes.
Sollten nur noch Werkerschaffer, die ihr Werk selbst in Echtzeit zur Aufführung bringen als bezahlenswert erachtet werden? Das wäre ein Rückfall in die orale Kultur und der Beginn eines absurden Geniekultes, der dem allgemeinen Trend komplett zuwiederläuft.

Heute haben sich drei Dinge maßgeblich verändert:
1. Das Erzeugen und Verbreiten von künstlerischen Werken ist so einfach wie nie.
2. Das Kopieren und Verarbeiten derselben ebenfalls.
3. Das Überprüfen, ob die Kopie eines Werkes genutzt und verbreitet wird, mittlerweile auch.

Ich glaube nicht, daß die Erlöserwartung der Kulturschaffenden unzeitgemäß ist. Schließlich haben wir alle hohe Erlöserwartungen, egal welchen Beruf wir ausüben. In den letzten 30 Jahren konnten zwar extrem viele Künstler plötzlich von ihrem Schaffen leben*, diese Blase wird platzen, das ist klar, aber Armut ist nicht unbedingt notwendiges Künstlerschicksal.
Die Verwertungsindustrie (Verlage, Plattenlabel, Filmproduzenten) hatten in den letzten 150 jahren mächtige und gut funktionierende Erlösmodelle entwickelt, von denen die Erzeuger der Kunst hervorragend profitierten, weshalb sie sich auch gerne von der Verwertungsindustrie abhängig machten. Diese bewährten Erlösmodelle funktionieren mit dem Internet nicht mehr. Denn weder der Kunstproduzent noch der Kunstkonsument sind nun auf die herkömmliche Tätigkeit der Verwertungsindustrie angewiesen.
Da liegt meines Ermessens nach das Problem. Der industrielle Overhead, der sich um die künstlerische Produktion gebildet hat, knirscht und kracht grade in allen Fugen.** Da er als hochpräsenter glamouröser Wirtschaftsfaktor gilt und künstlerische/kreative Werke unser gesamtes Leben „tapezieren“, bekommt dieser Prozeß große Aufmerksamkeit. (Wer schrieb das? Der Umsatz der Bestatterindustrie ist wesentlich höher als der der Musikbranche.) Im Grunde hat die Verwertungsindustrie verdammt gute Lobbyisten. Die lieber mit Macht Technologien ignorieren und bremsen, als sich Gedanken zu machen. Es gilt, angemessene Erlösmodelle zu entwickeln.
Nicht der Besitz, sondern die Nutzung einer Kopie muß kostenpflichtig werden. Kostenpflichtig womöglich im Rahmen einer Pauschale oder im Mikropaymentbereich.
Jenseits des Geniewerkes ist ein riesiger Nutzungsbereich für kreative Kleinproduktion. Siehe Stockfotos. Warum selber schlecht fotografieren oder Fotos klauen, wenn Fotomotive für ein geringes Entgelt unaufwändig beschafft und genutzt werden können? Die Zukunft künstlerischer Alltagsproduktion wird in solchen Kreativdatenbanken liegen. Und Künstler, die von ihren Werken leben wollen, sollten sich schleunigst kundig machen, wo heute ihr Platz in den Creative Industries ist und demnäcst sein wird. Und alle Künstler sollten sehr darauf achten, daß in diesem Umbruch ihre Interessen zum tragen kommen, daß sie einen bestimmenden Platz im neuen Erlösmodell haben und nicht nur melkende Kuh sind.
Ein Gebilde wie die GEMA war vor Zeiten einmal eine wirksame Interessenvertretung. Man erinnere sich, der Anfang lag bei Komponisten, die sich darüber ärgerten, daß Caféhauspianisten ihre Schlager nachspielten, ohne daß sie etwas davon hatten. Sie hätten auch erwirken können, daß nur Komponisten ihre Schlager spielen dürfen und Nachspielen verboten ist. Statt dessen wurde die Nutzung der Kopie der Komposition kostenpflichtig. Im Mikropaymentbereich. Die Industrie, die nachfolgend darüber wucherte, wird zusammenbrechen. Das Schaffen begabter Menschen bleibt.

*es gibt dazu eine Statistik, Autoren betreffend, die ich aber auf die Schnelle nicht finde
**eine Parallele findet sich in der Autoindustrie, auch die industriellen Konzepte, aus Mobilität Erlös zu ziehen, funktionieren nicht mehr

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