Schrödingers Katze oder Ab wann isses Kunst?

Berlin ist voller Kunst, weil es voller Kunstmacher ist und die machen halt Kunst. Kunst aber braucht Rezipienten. Braucht es sie wirklich?
Heute nacht fragte ich mich (ich bin mir sicher, da haben schon potentere Köppe drüber nachgedacht): Ab wann isses Kunst? Qua Erklärung durch den Macher? Per Anerkennung durch Fachleute, Publikum und/oder Finanziers? (Das Eine schließt das Andere ja oft aus und das Dritte ist vollkommen irrational.)
Sind die Gemälde, die eine mir bekannte Malerin seit Jahren aus der Not heraus unverkauft und unausgestellt in Containern verschließt dort im Dunkeln und ungesehen eigentlich Kunst?
Aber hier wird nicht von Malerei geredet, meine Spezialstrecke ist schon ausbildungshalber die darstellende Kunst und im tiefsten Ursprung das Theater. Darstellende Kunst wird in der Lehre oft als unselbständig bezeichnet, da sie ohne Rezipienten nur für den Moment existiert und hochgradig flüchtig ist. Wenn wir als Zuschauer diesen Moment nicht abpassen, reden wir vom Schein eines Scheins.[foot]Shakespeare. Die von Raubkopierern hastig mitgeschriebenen Texte kaum noch zu datierender Theateraufführungen.[/foot]
So, bevor es sich hier völlig in meiner Spezialstrecke Shakespeare versteigt, werde ich mal konkreter, keine Sorge, da kommt dann sogar mein Lieblingsstück „Hamlet“ vor.

Heldennächte

Ich gehe eigentlich nur noch ins Theater, wenn ich dazu animiert werde und das war in den letzten zwei Wochen zweimal der Fall.
Zuerst luden das Kind und der beste Regieassistent der Welt den Grafen und mich zu einer der Heldennächte ins Weite Theater ein.
Wieder so ein Ding. Als ich das letzte Mal im Weiten Theater war, hatte das noch eine Location in Hellersdorf, der beste Regieassistent der Welt stand als Jugendtheaterdarsteller auf dieser Bühne und ich dachte, das Haus hat seinen Namen von j.w.d., es könnte aber auch der weite Begriff von Darstellung sein, der Puppen und Schauspieler zugleich auf die Bühne bringt.
Jedenfalls, die Heldennächte sind die Idee der Theatermacher, wieder mal für Erwachsene zu spielen, statt immer nur für Kinder. Puppenspiel=Zielgruppe Kind, das hat sich irgendwann mal so durchgesetzt und ist völlig schwachsinnig. Clowns sind schließlich die Nachfahren der Schamanen und haben so manches Kind zum Heulen und Zähneklappern gebracht. Marionetten haben eine sehr starke Magie, zumindest ich habe etwas Angst vor ihnen.
Wie bekommt man nun Erwachsene in das Theater, von dem sie wissen, dass ihre Kinder vormittags mit dem Kindergarten da waren und sich die Höschen nass geschrien haben, weil die Gretel vor der Hexe gewarnt werden musste?
Mit Speck fängt man Mäuse. Man schnüre ein Paket aus einem bekannten Klassiker, adaptiert von einem wohlgelittenen Autoren – an diesem Abend war es F.K. Waechters Prinz Hamlet, es gastierte das Theater des Lachens Frankfurt (Oder). Gebe ordentlich Futter dazu, im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich ein von allen Beteiligten gemachtes Buffet. Hänge noch einen musikalischen Teil dran, der sich dann als vollständiges musikalisches Programm der Kompagnie Handmaids mit Namen Tête – re-Tête – Entschuldigung, haben Sie mir da gerade einen kleinen Kater aus der Nase gezogen? erweist und nicht nur nette Musik im Hintergrund zum Quatschen beim Wein. Die so gefangenen Mäuse amüsieren sich königlich im Drama, futtern sich voll, lassen sich noch weiter besingen und bespielen und walzen bis zum Platzen mit Kunst und Genuß angefüllt nach Hause.
Ziel erreicht. Dicke Empfehlung.[foot]Überhaupt, der Nächste, der  mir erzählt, er hätte aus lauter Ratlosigkeit, wo man hingehen sollte, 80 Tacken pro Karte für die Blue Men Group ausgegeben, dem kotz ich vor die Füße![/foot]
Nun noch ein paar Bemerkungen aus der Kategorie theaterwissenschaftliche und persönliche Klugscheißerei:

  • Hinreißende Puppen, wunderschön!
  • Puppenspieler, wenn ihr dann noch Menschenrollen spielt, tut es mit Respekt vor eurem Gesamtwerk, auch wenn ihr tierischen Spaß dabei habt. Das Knallchargenpaar König & Königin spielte die zarten Puppen böse an die Wand. Das muss nicht.
  • Ich liebe „Hamlet“. In jedem Moment. Wenn der König im Theater aus dem Theater rast.[foot] Wens interessiert:
    Pours the poison into the sleeper’s ears]
    HAMLET He poisons him i‘ the garden for’s estate. His
    name’s Gonzago: the story is extant, and writ in
    choice Italian: you shall see anon how the murderer
    gets the love of Gonzago’s wife.
    OPHELIA The king rises. 260
    HAMLET What, frighted with false fire!
    QUEEN GERTRUDE How fares my lord?
    LORD POLONIUS Give o’er the play.
    KING CLAUDIUS Give me some light: away!
    All Lights, lights, lights! 265
    [Exeunt all but HAMLET and HORATIO]

    [/foot] Das macht mir immer wieder Gänsehaut.

  • Auch gut gesättigt kann man sich an Sabine Mittelhammer nicht satt sehen.
  • Florian Hawemann, der ist mir im alten Beruf öfter über den Weg gelaufen, schicke Musik. Von wem waren die Texte?

Beats of Berlin

Dann begab es sich, dass der andere Teil der Familie, die Cousine nämlich, unter anderem mit einem Musical beschäftigt ist und meinte, das sollten wir uns mal ansehen.
Ich bin ja nun nicht soooo musicalaffin, also zumindest ab Lloyd-Webber, aber ich war gespannt. Außerdem habe ich Monate geholfen, Karten für den Admiralspalast an die Kundschaft zu bringen. Da kann ich mir die Studiobühne nun auch mal als Gast von innen ansehen.
Das Musical Beats of Berlin hatte noch einmal zwei Aufführungen.
Das hat erstmal sehr interessante Urheber. Mit Eva-Maria Kabisch eine Bildungsexpertin als Autorin. Aha. Klaus Wüsthoff als Komponist kommt ebenfalls aus der Westberliner (Bildungs)ecke. Dann tauchen als Realisateure zwei Herren mit (nicht nur im Osten) bekannten Namen auf: Ronald Schaller und Alexander G. Schäfer. Als Frontfrau steht Dagmar Biener auf der Bühne, eine kraft- und seelenvolle Dame, der man mit Fug und Recht den rar gewordenen Titel Volksschauspielerin geben kann. Dann noch junges, talentiertes Personal, der Produzent und die Tochter vom Regisseur spielen auch noch mit und als Sponsor ist eine Marke namens powercoffee1 im Boot. Die Bühne ist nett und flexibel dekoriert und bemalt und die Umzüge für die vielen Rollen in unterschiedlichen geschichtlichen Epochen gehen rasend schnell.
Da auf der Bühne standen Profis und gaben sich so sch… viel Mühe mit uns Publikum Spaß zu haben.
Aber die Texte und die Story sind informativ wie eine Geschichtsstunde und von der Musik habe ich Gott sei Dank keine Ahnung. Also nur so viel, dass ich weiß, dass mein Kollege Peter auch ganz gern Zitate mit leichten Dissonanzen verarbeitet und dass das sehr interessant klingen kann. Aber dafür bin ich einfach zu doof und Konsumentin. Ich wartete immer auf so etwas Friedrich-Hollaender-haftes, das mir runtergeht wie mit Käse überbacken und mit Öl bepinselt. Manchmal blitzte was auf, „Die Hure Politik“ war eine gute Nummer, „Black Market“ war gut. Aber irgendwie sagte das alles nach zwei netten Takten immer: „Hörma, nur damit das klaa is, dat is Kunst und wenn nich Kunst, dann Jazz!“ Insofern fand ich die Lösung, das spielerisch-reduziert-pragmatisch auf die Bühne zu bringen, nicht verkehrt.
Ja. Außerdem glaube ich mich zu erinnern, dass ich des öfteren mit Lehrern telefoniert hatte, die den Besuch des Stückes für eine Klassenfahrt planten.[foot]Aber der Renner auf diesem Markt ist noch immer konkurrenzlos Linie1.[/foot] Ebenfalls Ziel erreicht.
So findet alles sein Publikum und beim Herausgehen gab es noch einen Kaffee vom Sponsor, der auf seiner Website[foot]unverlinkbares flash, müssen Sie sich selber durchklicken.[/foot] unter „About“ -> „Philosophie“ -> „Hintergrund“ sagt Dem Geschmack muss man sich stellen.