Miz Kitty reist mit dem Grafen

Selbstverständlich lassen sich auch Reiseberichte prokrastinieren.
Aber wer in strömendem Regen im warmen Hotel sitzt, das leidlich funktionierendes Internet hat, findet leider keine Ausrede mehr.
(Der mitreisende Gefährte, der seit einiger Zeit das Ying zu meinem Yang ist, wird ab sofort der Graf genannt. Was mit dem zu tun hat, das er macht.)

Also, das war so:

Tag1, Sonntag:

Von Berlin nach Hamburg. Der Auto-Opa erinnerte sich schnell an die Strecke, die er früher oft fuhr und trug uns schnell dort hin.
Selbstverständlich waren wir wieder zu spät dran, was daran lag, daß ich ohne Frühstück und Kaffee nicht aus dem Haus kann. Frau Koma läge nämlich sonst bald im Koma.
Wir hatten Quartier abwesenden Freunden des Grafen in einer hübschen kleinen Wohnung und hauten uns dort erst einmal ein Stündchen hin. Die hübsche kleine Wohnung war sehr sauber und mit cremefarbenen Teppichböden ausgelegt.
Eigentlich eine gute Gelegenheit für Kitty, angelegentlich eine Flasche Rotwein fallen zu lassen. Also sah ich mich vor, denn ich kannte meine Schusseligkeit, die immer dann einsetzt, wenn vorsichtiges Bewegen angesagt ist.
In dem Moment, in dem ich mich jenseits von hellen Teppichböden entspannt aufs Klo setzte, passierte es dann. Eine Plastikschraube gab nach und ich schusselte auf dem Klositz durchs halbe Bad. Zur Erinnerung: Es war Sonntag, die Gastgeber waren bis Montag mittag aushäusig und es ist doch etwas blöde, einen Zettel zu hinterlassen, auf dem stünde: „Übrigens hat meine Freundin eure Klobrille kaputt gemacht. Upsi!“
Wir verdrängten das Problem die Herausforderung zunächst und begaben uns in die Strandperle. Easy Living bei Anblick von hochhaushohen Containerschiffen. Hamburg wäre es auch gewesen, wenn ich nicht in Berlin hängengeblieben wäre.
Als es dunkel wurde, fuhren wir ins Schanzenviertel, wo der Graf, als er noch ein sehr schüchterner, sehr junger Mann war, vor langen Jahren mit vielen netten Omis in einem 50er-Jahre-Haus gewohnt hatte. Seine Feststellung: Alles anders jetzt. So ein bißchen wie Friedrichshain um die Simon-Dach-Straße. Und die Omis waren alle ins Jenseits verzogen.
Nun wäre Kitty nicht gelernte DDR-Bürgerin, wenn sie auf Reisen nicht die ständig Angst begleiten würde, daß sie nichts zu essen bekommt. (Wir erinnern uns, die DDR war das Land, in dem in den wenigen Kneipen platziert wurde, die Küche um 22 Uhr schloß, Restaurants zwei Ruhetage in der Woche hatten, ab 7 Uhr weder Kekse im Konsum noch Bockwurst an der Imbißbude erhältlich und die Sanitäranlagen unbenutzbar waren. Deshalb reist Kitty auch heute noch gern mit einem Vorrat an Eßware und Feuchttüchern, die den früher üblichen feuchten Waschlappen in der Plastiktüte ersetzten.)
Wir drehten in der Schanze die Runde, auf der Suche nach glutenfreiem, nicht zu teurem, schnellem und leckerem Essen. Der Bok-Imbiss ignorierte uns, der sich als Veggie-Restaurant gerierende Inder war zu fettig, andere hatten schon zu und so landeten wir beim Türken und ich saß kurz vor zwölf glücklich vor einem Teller Checken-Döner mit Reis und Salat, nicht ohne mich über die Hamburger Preise zu wundern.
Dann machten wir uns an die Herausforderung. Sekundenkleber würde es sicher richten. Wir fuhren die Hamburger Tankstellen ab. Als ich schon aufgegeben hatte, wollte der Graf noch zur Tanke an der Reeperbahn und siehe, der Herr hinter der Kasse kramte unterm Ladentisch und förderte Sekundenkleber zu Tage.
Die Schraube wurde geklebt und wir krachten gegen drei ins Bett, selbst der Rasenmäher, der pünktlich morgens 8 Uhr Ordnung in den Hinterhof brachte, konnte mein Schnarchen nur kurzzeitig unterbrechen.
Ganz vergessen, vor dem Schlafengehen suchten wir noch eine geschlagene halbe Stunde nach einem Parkplatz…

Tag 2, Montag

Ab nach Dänemark. Doch halt, die Herausforderung kam zurück. Der Sekundenkleber hielt der Scherbelastung auf der kleinen Fläche der Plastikschraube nicht stand und diesmal schlitterte der Graf mit dem Klodeckel durchs Bad.
Meinen Vorschlag, doch noch mal zu kleben und sich vom Acker zu machen, lehnte er verständlicherweise mit Rücksicht auf seine Freunde ab. Also hieß es, einen Baumarkt zu suchen, um dort eine Lösung zu finden. Nach einer reichlichen Stunde kehrte der vollkommen entnervte Mann erfolgreich zurück (heiß, Parkplatzsuche, Baumarktodyssee etc.), zwei Plastikschrauben in der Hand, die wahrscheinlich mehr als der Klodeckel gekostet hatten.
Also konnten wir los. Wir schunkelten entspannt durch den Norden. Das Hotel war schon per Internet gebucht, ein Landhotel, das rustikale dänische Küche und Livemusik versprach androhte, aber preiswert und günstig gelegen war.
Vor der dänischen Grenze las ich das Schild „letzte Tankstelle in Deutschland“ und meine Ossialarmanlage schlug an. „Sollten wir tanken?“ war meine Frage, denn der Tank war nur noch zu einem Viertel voll. „Och nö“, war die Antwort, „können wir nachher noch machen.“
Im Hotel angekommen, wurde ich erst mal ins Bett geschickt. (Die Unterkunft waren übrigens ein paar aufgemotzte Wohncontainer an der Landstraße nach Romo, hinter einem alten Dorfgasthof.) Der Graf fuhr schnell tanken, damit wir heute abend noch zum Meer kamen, um unsere Flasche Wein zu trinken.
Als ich nach anderthalb Stunden ausgeschlafen erwachte, dachte ich mir: Wie nett, er sitzt im Gasthof, trinkt ein Bier und will mich nicht wecken. Aber so langsam ist es neun Uhr, wir sollten mal was essen. Da klingelte das Telefon. Er sei wieder in Deutschland, denn alle Tankstellen wollten die Geheimnummer der Kreditkarte wissen (weiß irgendjemand von euch die Geheimnummer seiner Kreditkarte????) und mit ec-Karte ging garnichts, hier in Deutschland seien die meisten Dorftankstellen abends geschlossen. Ich solle die Daumen drücken, daß er es noch zur nächste Tanke, die offen sei, schaffe.
Upsi die zweite. Urlaub machen ist nicht so einfach. Ich setzte mich vor den Gasthof, wollte aber nichts essen, weil das ja etwas gemein und wenig solidarisch gewesen wäre, einen hungrigen und gestreßten Mann satt und ausgeschlafen zu empfangen. (Daß die Küche längst geschlossen war, entging mir.)
Irgendwann, die heftig biertrinkenden dänischen Gäste hatten mich schon mehrmals eingeladen, brachen wir zur Insel auf.
Ich lernte etwas faszinierend Neues: Man kann mit dem Auto zum Strand fahren, ohne daß die Welt sofort in einer Umweltkatastrophe versinkt oder sich illegale Rennen fahrende Jugendliche in Blechhaufen zerknüllen.
Doch bevor wir uns am Strand im Auto in den Anblick der vom Scheinwerfer beleuchteten Wellen ergingen, mußten wir etwas zu essen besorgen. Die Läden und Kneipen, die vor Minuten noch offen waren, hatten inzwischen geschlossen, einzig eine Softeisbude, in der geputzt wurde, verkaufte uns noch etwas.
Wenn ich nicht in Hamburg darauf bestanden hätte, Brot und Gemüse zu kaufen, wären wir tatsächlich mit einem Softeis im Bauch zu Bett gegangen, für so verfressene Wesen wie mich eine Katastrophe. So gab es ein nettes Picknick und nach nicht mal 20 km Umweg (müde Karte lesen ist anstrengend) lagen wir gegen 3 Uhr im Bett.

Tag3, Dienstag

Das rustikale dänische Frühstück beinhaltete sogar Bulletten und Bratkartoffeln. Um uns herum saßen Rentnerpulks, die bald in einem Bus verschwanden.
Wir recherchierten nach dem nächsten Hotel. Der Reiseführer drohte uns eine synthetische Proletensiedlung mit Softeis- und Pommesbuden an, wir wolltens aber mal riskieren, weil die Fotos vom Hotel nett aussahen.
Und nun stand ich vor einer Herausforderung. Upsi die Dritte. Ich hatte vor dem Urlaub eine Menge erledigt, eine essentielle Sache aber prokrastiniert. Die nun anbrannte. Was hieß, ich mußte dringend eine ziemliche Menge Geldes auf den Weg zum Empfänger bringen. Auslandsüberweisung? Homebanking um drei Ecken übers hapernde Funknetz? Hm.
Der Graf hatte eine gute Idee. Wir nahmen die Fähre von Romo nach Sylt. Eigentlich, um ein deutsches Bankhaus aufzusuchen und die Überweisung zu tätigen, was nach einer halben Stunde erledigt war. Uneigentlich, um Sylt anzuschauen. Hübsch, wirklich hübsch. Am Nachmittag senkten wir den Altersdurchschnitt im Gogärtchen. Eindruckvolle Silberrücken tranken dort den ersten Prosecco des Tages und sahen zu, wie ihre gut gelifteten Gattinnen kultiviert mit den Enkelkindern spielten.
Das Thema am Nebentisch waren die Flugzeiten mit Anfahrt vom häuslichen Anwesen in die Sylter Dependance. Wir gaben Nerd und Nerdesse und waren die einzigen Smartphonebenutzer.
Am Abend kamen wir in dem wirklich hübschen Hotel in einem Örtchen bei Esbjerg an und buchten spontan einen weiteren Tag. Ein hübsches Zimmer (aber unbegreiflich, warum alle Betten eine Besuchsritze haben!), nette Gastgeber, ein schöner Salon, da nimmt man das Bad auf dem Gang gern in Kauf.
Wir nahmen den Picknickkorb, auf mein Betreiben hatten wir uns schon vorher mit Eßwaren eingedeckt und machten ein kleines Heringsessen auf der Düne bei Anblick von Strand und Sonnenuntergang.

Tag4, Mittwoch:

Upsi, wieder eine Herausforderung, eine kleine allerdings. Wie schafft man es, auf Reisen einen in Deutschland gesperrten Youtube-Clip wieder ans Netz zu bringen? Es geht.
Und dann regnete es und wir liefen im Regen den Strand entlang und badeten sogar.
Himmlisch, göttlich und sehr entspannt. Mit den von mir geliebten Pastelltönen von Sand, Gras, Meer und Himmel und schwebender Verliebtheit.
Nach meinem späten Mittagsschlaf brachen wir auf, um etwas zu essen. Merke: An so wichtigen Zeitmarken, wie 21 Uhr in verschlafenen Familienferiendörfern nie NIE! überlegen, ob man nun hier oder da essen will. Dann hat nämlich außer den Kneipen auch der Supermarkt zu und man muß mit einer halben Tüte Chips und einer Portion Softeis im Bauch ins Bett, selbst wenn die letzte Mahlzeit das Frühstück war.
Das war nun eine sehr große, existenziell bedeutsame Herausforderung für mich. Ich hatte Hunger! Ich mußte was essen! Was richtiges! Fleisch! Jetzt! Sofort!
Ich stürzte in eine leicht ranzige Burgerbude, die unter anderem Pizza Gyros führte, bevor auch diese schloß, orderte Fish & Chips und sah erst dann in das erstaunte Gesicht des Grafen. „Isso.“, konnte ich nur sagen, bevor ich mich hingebungsvoll dem Junk-Food widmete.
Die Nordländer sind halt entspannt, weil sie nicht so verrückt sind, dermaßen lange und viel wie die Deutschen zu arbeiten. Da schließen die Küchen um 9 und fast alle Osloer Hotels und Kneipen haben zu Weihnachten geschlossen. Isso.
Das Zimmer haben wir übrigens noch einen weiteren Tag verlängert.

Die Reise aus der Sicht des Grafen können Sie übrigens da nachlesen.

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