Freier Fall

Ich habe das Gefühl, daß wir alle im Ballsaal der Titanic stehen und die Kapelle spielt weiter. Noch lächeln wir. Warum auch immer, dieser Satz kam vorgestern bei meinem Gesprächspartner nicht gut an.
Ich habe vor 4 Wochen als wichtigsten Punkt meiner Lebensplanung „finanzielle Vorsorge“ markiert. Doch manchmal ist das Leben schneller. Die Werte, mit denen ich Vorsorge noch vor 4 Wochen festgemacht hätte, existieren nicht mehr. Ich bin weit davon entfernt, Schadenfreunde zu empfinden. So nach dem Motto: „Ätsch, ihr Idioten, immer schön verzichtet und für spätere Zeiten gespart, jetzt seht ihr, was ihr davon habt! Ich hab gelebt und Spaß gehabt!“ Ich habe Menschen, die mit Geld umgehen können, immer beneidet. Geld hatte für mich nie einen Wert und schon gar keinen emotionalen.
Spekulative Geldanlagen (das ist für mich alles, was über den Eckzinssatz hinausgeht) fand ich zwar interessant, ich habe jedoch nie Geld in Produkte gesteckt, die ich nicht verstanden habe und ich habe jeglicher Beratung mißtraut.
Wenn mein Ex-Freund aus dem Beruf plauderte (er handelte dereinst Dax-Futures für eine Bank), habe ich die Ohren aufgesperrt. Und so hörte ich das eine oder andere darüber, was passiert, wenn ein Fondsmanger einen miesen Tag hatte oder computergesteuerte Programme eine Eigendynamik entwickelten. In meinem Kopf blieben auch banale Sprüche stecken wie: Die Börse gibt, die Börse nimmt. oder Wenn in der Zeitung steht, daß Aktien gefährlich sind und die letzte Oma daraufhin ihre VW-Aktien verkauft, dann geht es wieder aufwärts.
Alles in allem habe ich einen Heidenrespekt vor raffinierteren Anlageformen und bin der Meinung, daß Rediten um 20% zwar angenehm, aber hochgefährlich sind.
Ich bin auch in einer privilegierten Situation, denn ich hatte nie ein Vermögen zu verwalten und für nachfolgende Generationen zu bewahren. Wäre dies der Fall gewesen, hätte ich darüber viel lernen müssen.
Vielleicht ist es meine Prägung: aufgewachsen in einer Gesellschaft, die Geld als notwendiges, bald abzuschaffendes Übel betrachtete, erwachsen geworden in einer Welt, in der alte Werte nichts mehr bedeuteten, dazu die Berichte der älteren Generation von Inflation, Weltwirtschaftskrise und Währungsreform. Irgendjemand in der Familie hatte immer grade das Geld für ein Häuschen oder ein größeres Geschäft zusammengespart und dann kam alles anders. Die von mir sehr verehrte Vicky Baum haute in ihrer Biografie nochmal in dieselbe Kerbe. Es waren wenige Jahre, die sie als Bestsellerautorin und Ullsteinredakteurin in Berlin verbrachte. Mit Villa im Grunewald und Boxtraining in der Mittagspause, abends Premieren und Vernissagen. Dann kam alles anders, dann brannten ihre Bücher und von ihrem ersparten Vermögen (sie hatte ein bitter armes Bohemeleben hinter sich, hatte die Schulden ihres ersten Mannes aus einer Verlagsunternehmung abgezahlt) durfte sie ein lächerliches Taschengeld nach Amerika ausführen.

Kurzfristig mögen sich Spekulationen lohnen. Vor allem für Leute, die sehr viel davon verstehen und auch wissen, wann sie die Finger von etwas lassen müssen. Alle anderen sind das Zahlvieh, das zu spät in das Pilotenspiel eingestiegen ist.
Sehr langfristig lohnen sich wahrscheinlich nur bodenständige Wertanlagen: Selbst bewohnte Immobilien, eine gute Ausbildung, eine große intakte Familie, Teilhabe an Rohstoffen, erzeugender Industrie oder Landwirtschaft. Das ist langweilig, konservativ und verspricht wenig Spaß.
Ich habe in den letzte Tagen darüber nachgedacht, was wohl demnächst passieren wird. Jeder, der in dieser Welt Verantwortung trägt und in diesen Tagen Entscheidungen fällen muß, weiß, was nach der Weltwirtschaftskrise kam. Der fast vollständige Zusammenbruch des Mittelstandes, das schlimme Elend der Unterschicht und die politische Energie, die diese Demütigung hervorbrachte. Danach wurden bescheidener Wohlstand und soziale Sicherheit um jeden (ideologischen) Preis akzeptiert.
Es wird sich zumindest für mich anders anfühlen als der Zusammenbruch des Neuen Marktes. Damals rauschten wir in der Medienindustrie aus einer Boomphase in eine Hypephase und dann in die totale Konfusion. Wir klammerten uns an den Satz „Schließlich muß ja irgendwas gesendet werden!“ Daß das irgendwas auch endlose Wiederholungen oder billigste Non-Fiction sein konnte, war uns nicht klar. Jetzt trifft uns Medienmenschen die Krise in einem ohnehin im Umbruch befindlichen Markt. Das hat Vorteile – trotz Aufschwung waren das keine fetten Jahre, die wir erlebt haben. Das hat auch Nachteile – auch für uns saßen die Kredite locker, viel Risiko ist nun nicht mehr drin und offenes muß zurückgezahlt werden, ob Banken nun über den Jordan gehen oder nicht.
Was wird sein?

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5 Gedanken zu „Freier Fall

  1. bei geld bin ich nicht nur bodenständig, sondern auch noch angeklebt. als der ganze aktienkram anfing sich von den realen werten zu lösen und teilweise reine spekulation zu werden, verschwand der begriff aktie [oder gar schlimmeres] aus meinem blick. wenn, dann will ich lieber wenig, aber sicheres geld denn viel, aber unsicheres. ich zocke nur in casinos und im berufsleben, sonst nirgends. und in beiden bin ich noch im schwarzen bereich. wahrscheinlich weil ich selbst beim zocken bodenständig bin.

    es gibt da diese schöne geschichte der besitzer von fisherman’s friend, die ich mal in der zeitung gelesen habe, von der ich aber nicht genau weiß, ob sie stimmt …

    der „sage“ nach erscheint jedes jahr ein gesandter der firma procter & gamble mit einem übernahmeangebot für das produkt fisherman’s friend. er wird von den besitzern zum essen eingeladen und nimmt jedes jahr den gleichen satz mit nach hause: „wir können gleichzeitig nur ein auto fahren, ein haus bewohnen, uns einmal am tag kugelrund essen und uns nur einmal am tag betrinken. warum also sollten wir verkaufen?“.

    ich finde, die menscheit sollte sich wieder öfter an alten geschichten, sagen und legenden orientieren …

  2. Apropos Zahlvieh und sich auskennen. Es gab dieses Jahr ein laengeres Interview mit einer Profi-Poker-Spielerin (oder einem Spieler). In dem der Satz viel: „Wenn du dich fragst, wer am Tisch der Fisch ist, bist du’s.“ So wird’s auch am grossen Spieltisch sein.

  3. REPLY:
    deinem letzten satz stimme ich voll zu. je älter ich werde, desto konservativer werde ich.

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