Endstation

Das war dann also dieser Tag. Gutes Wetter. Warm, praller Frühling, was Baum war, das blühte. Flieder, Rhododendron, Kastanien. Oben am Himmel kündigte sich schon ein kleines Drama an. Wolken, die jederzeit bereit waren, sich aufzutürmen und sich in einem Donnerwetter zu entladen. Doch die Sonne überstrahlte sie elektrisch weiß.
Mit dem Abstand von 12 Stunden kann ich sagen: Ich möchte um Himmels willen keine schlichte Beerdigung und schon gar kein stilles Gedenken. Ich will Pomp, mächtig Musik, Reden, einen netten jungen Priester im Talar, Ohnmachtsanfälle am offenen Grab und theatralische Klagerufe. Ich will einen guten, stabilen Eichensarg, in dem ich mich in meinem besten Kleid so richtig breit machen kann und ein Grab mit gutem Blick auf die, die den Friedhof betreten. Und alle die, die gekommen sind, sollen mit fettem Essen beginnen, mein Fell gründlich zu versaufen. Am Schluß möchten sie sich bitte alle in den Armen liegen und unter Tränen blöde Witze und Erinnerungen erzählen. So.
Vor zwölf Jahren, als ihr Mann unter die Erde kam, gruppierten wir uns alle nach den Anweisungen von KKM. „Du bleibst hier stehen. … Hibbel nicht so. … Das trägst du!“ Die ordnende Hand fehlte heute.
Im Aufenthaltsraum der Kapelle meine Eltern. Mein Vater an der Kante des Tisches, Bruder und Mutter Meter entfernt nebeneinander sitzend. Draußen stehen die Alten. Verlegen und vorsichtig. Manchmal noch mit den Resten der einstigen militärischen Haltung. F., der Chauffeur meines Großvaters küßt mich zweimal. Ich erinnere mich gern an ihn, denn wenn ich ihn sah, waren Ferien. Dann fuhr ich mit und mein Großvater stahl sich einen Nachmittag, um mit mir ins Museum zu gehen.
Im Schatten der Kapelle ein verwehter Greis mit einer einzelnen Rose. Einst war er Minister.
Die Schar der Freundinnen. Generalswitwen, Professorenwitwen. Alle aufgeregt. Sie waren Monate ohne Nachricht. KKM hatte das so bestimmt. Sie fragen nach: „Sie hat doch Morphium bekommen, oder?“ Wir verneinen. Obwohl wir es uns selbst nicht erklären können, wie sie bis zum letzten Tag ohne Schmerzen geblieben sein soll. Der Blick der Frauen. Auch sie sind alle über achtzig. Viel Zeit haben sie nicht mehr.
Die Schulfreundin. Vor genau einem Jahr haben wir uns in der Oberlausitz zum endgütig letzten Klassentreffen gesehen. Das war meine letzte lange Fahrt mit KKM. Da war scheinbar alles schon Vorahnung.
Das Kind weint schon auf der Hinfahrt bitterlich. Wir halten sie im Arm. Ich habe mich schon morgens auf Haltung konditioniert. Theatermensch eben. It’s showtime.
In der Kapelle ein leeres Rednerpult und Musik. Ich hatte schon am Tag ihres Todes eine Rede im Kopf, wissend, daß ich über den dritten Satz nicht hinausgekommen wäre. Es hätte ohnehin niemand verstanden, daß ich nicht über Politik gesprochen hätte. Nicht „unsere gerechte Sache“ und „Kampf“ gesagt hätte. Ich wollte aus Ich an Dich lesen. Diese wunderbare kleine Liebesgeschichte aus den späten 30ern, das Lieblingsbuch ihrer Jugend. Ich wollte über ein Mädchen erzählen, das auf seine Art der Kleinstadt und dem Kurzwarenladen der Eltern entfliehen wollte. Nicht Haushaltsschule sondern Pensionat für höhere Töchter war ihr Ziel. Und da sie ein Einzelkind war, gewährten ihr das die Eltern. Ihre Stickereien waren haarsträubend schlecht, nähen konnte sie ganz passabel, das hatte sie schon im Laden gelernt, Backen … naja, aber Braten machen, Menüs auftafeln und große Gesellschaften organisieren, da war sie in ihrem Element. Mit den Nazis hatte sie nichts zu schaffen. Was alle machten und dachten, interessierte sie nicht.
Es ist nichts vorherbestimmt, sagte sie oft. Sie hat schließlich einen ehrgeizigen kommunistischen Arbeitersohn aus Dresden Leuben geheiratet, der künstlerische Ambitionen hatte und keinen General. Dazu hat das Leben ihn gemacht. Und sie. Der Satz Hinter einem starken Mann steht eine starke Frau traf auf kaum ein Paar besser zu. Mit einem unsicheren Hämchen hätte mein Großvater diesen Weg nicht gehen können. Sie organisierte den Haushalt, die Freundschaften, führte den Terminkalender und zog die Kinder groß. Sie klagte nicht, wenn mein Großvater für unbestimmte Monate mit unbekanntem Ziel abkommandiert wurde. Aber sie bestand auf Diamanten. Er hielt zu ihr und ehelichte nicht wie viele seiner Gefährten in zweiten Gang die Sekretärin und sie hielt zu ihm, als er mit sechzig halb taub pensioniert wurde. (Wer beim Raketenschießen Gehörschutz trug, galt als Weichei.) Sie akzeptierte, daß große Reisen und Unternehmungen nicht mehr möglich waren. Es gab immer wieder heftigen Krach (ohnehin, der Ton in einer Ehe, in der einer sich dem anderen nur noch schreiend verständlich machen kann, ist roh und knapp), aber schnell eine Versöhnung und nie Resignation, nie enegieraubenden Kleinkrieg.

Diese Rede wurde nicht gehalten, sie wäre ohnehin zu lang geworden. Mein Onkel sagte am Grab ein paar schöne Worte. Daß sie beide Eheringe mitgenommen hätte, denn sicher würde sie da oben ihren Mann wieder treffen. Die alten Kommunisten nickten andächtig. Und ich fügte in Gedanken hinzu, daß sie auf dem Weg dorthin gern die Zeit lassen könne, noch mal ein paar nette Herren vom Typ Jopi Heesters zu treffen. Denn das hatte sie mehrere Male gesagt, wäre das Einzige gewesen, was sie in einem neuen Leben anders gemacht hätte. Sie hätte gern mehr als den einen Mann ausprobiert. Der dann letztlich der Richtige war.

Die Familie steht sonderbar versprengt am Grab und nimmt die Kondolenzen entgegen. Das Gesicht von meinem Vater ist dunkelrot. Seine Körperhaltung sagt: Ich kann das nicht, laßt das vorbei sein.
Ich stehe vor dem Grab und kippe langsam um. Denke panisch: Scheiße, bloß nicht in Ohnmacht fallen. Aber es hatte nur der trockene Sand unter den Hacken meiner Schuhe nachgegeben.
Das Kind und ich liegen uns weinend in den Armen. Wenn es schlimm wird, legt HeMan die Hand auf meinen Rücken. Der soziale Vater vom Kind ist auch gekommen. Wie schön. KKM vergaß nur im letzten Jahr, als sie schon recht wunderlich wurde, ihm zum Geburtstag zu gratulieren und sich nach dem Befinden von Frau und Kindern zu erkundigen.
In der Kneipe stoßen wir tapfer mit Rotkäppchen halbtrocken an. Das war schließlich ihr Lieblingssekt. Es gibt Kuchen, Schlagsahne und kannenweise Kaffee.
Doch die alten Leutchen sind nicht mehr so trinkfest wie früher und auch meine Eltern verabschieden sich bald. Das Taxi wartet und mein Vater wirkt einfach nur fertig. Sonderbare Abschiede. Bei KKMs Freunden weiß man, daß man sich nicht wieder sehen wird und schweigt darüber. Die Verwandtschaft ist mit Sicherheit zum letzten Mal so zusammengekommen. Und spricht das aus: „Na da werden wir uns wohl kaum noch mal wiedersehen…“
Dann stehen wir auf der Straße. Ich habe Hunger, denn der Kuchen war nichts für mich. Nun bin ich endgültig erwachsen, nun habe ich das Sagen. Das, was an Familie übrig ist, muß will ich zusammenhalten.
Ich lade sie zum Essen ein. Auf der Terrasse vom Kaffeekahn essen wir Fisch und Bratkartoffeln. Das Kind bestellt Königsberger Klopse. Der dringend benötigte Regen vernebelt die Flußlandschaft und läßt die Luft süß riechen.
Wir verabreden, daß wir KKM im November, an ihrem Geburtstag, Rotkäppchen halbtrocken aufs Grab schütten.

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5 Gedanken zu „Endstation

  1. du ahnst gar nicht, wie gut mir deine zeilen gerade tun.
    mein beileid und mehr noch mein respekt …..
    ja, so ist das.

  2. das liest sich wie eine durch und durch würdige feier – sehr schön!

  3. und wieder gelingt es dir, ein ganz privates thema würdevoll und plastisch einzufangen, festzuhalten und geschichte hindurchschimmern zu lassen. das ist eine mischung, die gibt´s nur hier bei dir. thanks for sharing!

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