Die alten Hirsche

Hatte ich neulich die bösen alten Frauen auf der Schippe, möchte ich mich hier dem männlichen Pendant widmen: den alternden Profilneurotikern.
Sie wissen alles. Sie können auch zu allem etwas sagen. Wenn sie zu etwas nichts sagen können, dann ist es nicht wichtig oder Mumpitz.
Ihr Wissenstand ist in der Regel 20 Jahre zurück. Trotzdem nehmen sie dich beiseite und sagen dir: Schätzchen! (oder auch: Mäuschen!) Das ist so und so! Zieht man das in Zweifel und erklärt, daß sich etwas in der Zwischenzeit geändert hat, hören sie nicht zu und wechseln das Thema oder sie erklären dir die Welt mir nachsichtigem Lächeln noch mal.
Eine Unterart der Gattung versucht, ihr altes Dominanzverhalten im Ruhestand auf das private Umfeld zu übertragen. Sie bitten ihre Frau zum Diktat und prüfen die Wäschelisten und/oder sie maßregeln die Nachbarn.
Ein entfernter Onkel, Horst Hase genannt, ging mit Vorliebe nach Einbruch der Dunkelheit in seiner Rudower Fertighäuschensiedlung spazieren (Ne Stadtvilla isset! – O-Ton Horst Hase), um zu schauen, ob in den Mülltonnen, die seine Nachbarn für die morgendliche Leerung nach draußen gefahren hatten, noch Platz sei. War das der Fall, begann er in seiner Garage sorgfältig gesammeltes Laub, Äste und Sperrmüll nachzustopfen, um Geld zu sparen.
Beim Aufschreiben merke ich aber, daß ich auf die alternden Profilneurotiker bei weitem keinen solchen Rochus habe wie auf die bösen alten Frauen. Das würde mir vielleicht anders gehen, wenn ich derzeit Geschichte oder Philosophie studieren würde und die Hälfte des Seminarraums voller grauhaariger Besserwisser zu sitzen hätte. Meistens kann ich ihnen aus dem Weg gehen. Oder ich ertrage sie, weil sie mir ein bißchen leid tun. Zugegeben, manchmal kann es etwas anstrengend sein, einen einstündigen Monolog über früher zu hören oder im Restaurant einer Vorstellung von Weinkennerschaft beizuwohnen, aber irgendwie sind sie ja auch süß. Sie haben in ihrem Leben meistens viel geleistet und geschaffen und auch hier fällt die Diskrepanz zwischen der Realität und den Haltungen, die aus früheren Zeiten stammen, auf. Aber zumindest bei den alten Hirschen, die ich kenne, nervt das Pfauenradschlagen nicht so (auf Herablassung reagiere ich allerdings sehr allergisch!), wie dieses Gezeter, Geziere und Gezicke meiner älteren, alleinstehenden Freundinnen.
Allerdings beobachte ich schon lange einen signifikanten, altersunabhängigen Unterschied im Verhalten von Männern und Frauen. Männer können auch allein. Die spannen zwar gern jemand ein für ihre Zwecke oder suchen sich ihr Publikum, aber sie bekommen nicht gleich eine Krise, wenn das nicht klappt. Frauen berufen sich oft darauf, daß etwas von außen passieren muß, damit es ihnen gut geht. Da muß erst jemand kommen, der sie für talentiert oder liebenswert hält, der/die/das muß dann etwas für sie tun und erst dann sind sie glücklich. Da nehme ich mich nicht aus.
Und bei beiden, den alten Hirschen und den alten bösen Frauen ist der Kern ihres Verhaltens eine nicht vollzogene Anpassung an neue Umstände. Loslassen können, Veränderungen akzeptieren, sich auf Neues einlassen.
Dann frage ich mich plötzlich, was so falsch war an einer
Matrone, die verkündet, mit dem Schweinkram sei jetzt Schluß (was ja sowieso nur die Parole für die Öffentlichkeit ist). Im Gegensatz zu einer perfekt ausgemergelten 60jährigen, die zwanzig Jahre jüngere Frauen zur Konkurrentin hat. Was war so falsch an dem alten Herrn, der sich für Holzhacken, Angeln und vergnügtes Pfeiferauchen aufs Altenteil zurückzieht, statt in Sneakers auf der Piste die jungen Fauen vollzulabern?
Fragen über Fragen…

26 Gedanken zu „Die alten Hirsche

  1. ich denke das manchmal bei den männern mitte 40, die noch genau so gekleidet sind wie die 20jährigen. ich mag das ja irgendwie auch, aber wenn es um die 60 noch so ist find ichs auch n bisschen absurd. gerade in unserer branche treibt das manchmal gruselige blüten bei beiderlei geschlecht.

  2. REPLY:
    alternde menschen haben früher älter ausgesehen, gesetzter, erwachsener. es gab einen angemessenen habitus für ihre gesellschaftliche rolle. jetzt merkt man den gesichtern erst durch falten und tränensäcke an, daß vor einem kein student/in mehr steht.
    ich habe ja durchaus meine berufsjugendlichen phasen gehabt, die hüfthosen mußte ich unbedingt mitnehmen, als ich 8 kilo weniger wog, aber es ist schon absurd, zu sehen, wie der körper das mit macht einholt, was der geist nicht vollziehen will.
    interessanterweise altern die menschen am besten, die verantwortung übernehmen, sich einlassen und handeln.
    die ewigen zögerer (jetzt noch nicht!), projektemacher (ganz toll, aber ich brauch 5 mio!) und vermeider (nicht mit mir!) sind irgendwann nur noch unsexy.
    allerdings mußten heman und ich feststellen, daß es tatsächlich keine moderne casual kleidung für menschen ab mitte 40 gibt, ab 60 wird es richtig böse. entweder du kaufst beige und praktisch oder du kauft so einen zahnarztgattinnen- und golfspielerschick. das ist doch furchtbar.

  3. Vielleicht ist das bei den Frauen so ausgeprägt, weil die nicht alt werden dürfen. Bei Männern ist da ja immernoch anders… Selbst mein lieber Vielfraß hat letztens versucht, mir zu erzählen, dass Männer sich im Alter besser halten als Fauen. Ich halte das schlicht für ein Gerücht.

  4. REPLY:
    …hier gegenüber wohnt ja dieser Rolf Eden und der schlendert dann manchmal die wilmersdorfer runter in seinem hellcremefarbenen anzug und ich muss – jenseits der charakterlich bedingten verachtung – immer wieder so ein gefühl unterdrücken, das etwas mit erschrecken zu tun hat… ähnlich wie am ende von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“… da denkt man auch bis kurz vor schluss, es sei ein kind…

  5. habe ich als Frau mehr Angst davor, eine alte Zicke zu werden, als davor, meine Umwelt als herablassender Profilneurotiker zu traktieren. Man weiß ja nie, was Hormone (oder deren Fehlen) aus einem machen oder welche Gene sich im Alter Dominanz verschaffen, nicht wahr ?

  6. REPLY:
    haben Sie (leider) vollkommen recht, wobei mir scheint, dass es Männer noch leichter haben, da zumindest im städtischen Bereich etliche Herrenausstatter einen guten Mittelweg zwischen Adler und Boss anbieten. Wehe, man verfügt dann als Frau zusätzlich über keinen Größe-38-Körper ! Ich bin für meinen Teil kurz davor, mir meine eigene Kollektion zu entwerfen, und das meine ich ernst.

  7. REPLY:
    Schön, dass man noch von Referenzen auf Daphne du Maurier lesen kann. Der Film wies 1973 die anerkannt schönste Liebesszene auf.

    Ansonsten stelle ich mit Vergnügen fest, dass sich die Diskussion über alternde Herren mehr in die einer über alternde Frauen verwandelt.

    Ist doch auch merkwürdig.

    Ich kenne durchaus Frauen, die auch „allein“ können und dabei im Alter noch eine hervorragende Figur machen. Die Schwester meiner Schwiegermutter war trotz schwerer gesundheitlicher Beschwerden bis zu ihrem Tod mit 93 eine repräsentable Frau.
    Ihr Mann fiel im 2. Weltkrieg.
    Auch jüngere Frauen so um die 50 scheinen es mitunter ganz gut zu schaffen, auch ohne bissig zu werden.

    Ich beobachte sehr gerne Leute. Und fahre jetzt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Früher dachte ich, dass sich die Männer prinzipiell besser halten. Mittlerweile bin ich kritischer. Vielleicht 10-15% sind nett anzusehen. Dem Rest sieht man Verbitterung, seelische Verwahrlosung oder Angst an den Augen an. Bei Angst sollte man mit den Betroffenen Mitleid haben. Manchmal sind das auch die, die sich sowieso nichts zu sagen trauen. Also lasse ich die aus meiner Betrachtung heraußen.
    Aber die, deren Augen entweder stumpf oder leicht verbittert aus der Wäsche blicken, das sind die, welche den alten Zicken gleich zu setzen sind.
    Ich stelle mir vor, dass dies die Vorwegnahme des Fegefeuers ist. Das Gefühl, welches hier durchschimmert, sein Leben nicht richtig gelebt zu haben, ungerecht behandelt worden zu sein, der Unterdrückung nicht Herr geworden zu sein. Dieses Gefühl im Alter zu erleben, die Ohnmacht, keine Umkehr bewirken zu können, und das langsame Schwächerwerden des Körpers muss einen eigentlich wahnsinnig machen.
    In Wirklichkeit sind also alle diese Typen – und es sind die Mehrheit – unheimlich zu bedauern. Es wird nämlich schwer möglich sein, ihnen zu helfen.
    Ich war hingegen gestern wieder in einer Männerrunde, wo ich mit 57 bei weitem der Jüngste bin. Der Zweitjüngste setzt bei 65 an und dann geht es bis über die 80er hinaus.
    Da erlebe ich Interesse, Diskussionen über die möglichsten und unmöglichsten Themen, Freude an einem Glas Wein und jede Menge Humor.
    Der Grundsatz dahinter: man muss selber tun. Man darf nicht auf äußeren Anstoß oder Hilfe warten, man ist selbst für sich verantwortlich. Und da finden sich dann ja wieder die Gedanken von Kitty Koma.

  8. REPLY:
    Ich oute mich zwar als neurotischer Besserwisser, doch bis jetzt hören mir die Leute noch zu, oft sogar interessiert:)

  9. REPLY:
    ja, selber tun ist wichtig. nicht auf erlösung warten. aber auch realistisch und angepaßt handeln. wer sich ein leben lang verhebt oder sich verkannt fühlt, wird irgendwann resignieren.
    irgndwie gilt das für vieles. für den traumjob, das traumprojekt, den traummann, das traumleben…

  10. REPLY:
    kommt immer drauf an, was man zu erzählen hat und wie man es tut.
    ich habe zu weihnachten mit großer spannung einem 85jährigen zugehört, der von wilden affären im franco-spanien der 50er erzählte. und obwohl wir in der gleichen branche tätig waren, hat er nie versucht, mich über meinen job zu belehren.

  11. REPLY:
    ich habe ja das gefühl, daß es sich für einen properen körper wesentlich besser entwirft und näht.

  12. ich bin also eine Frau, wie dieser Artikel zweifelsfrei nachzuweisen versteht.

    ich hatte da ja schon lange so einen stillen verdacht.
    na wenigstens kann ich mich dann mal beruhigt auf dem hetero-männer-markt umsehen, der ist immerhin viel größer als der schwule Männer-Markt. ich kann nämlich gar nicht gut alleine und beim darunter Leiden brauch ich ganz dringend Publikum! (siehe Frauen-Beweis)

    on the other hand, ich weiß natürlich alles. also. was wirklich wichtig ist. also alles außer Politik, Business und Geographie. wobei ich das auch gerne für mich behalte, denn man könnte meiner komplexen Weisheit vermutlich sowieso aus Kapazitätsgründen nicht folgen.
    was die obige These jetzt etwas durcheinander wirft.
    möglicherweise bin ich auch einfach noch nicht alt genug, um eine eindeutige geschlechtliche Zuordnung zuzulassen.


    oder. wie ich aus sooo vielen guten Filmen und wissenschaftlichen Debatten gelernt habe: wenn es gilt, zwischen zwei Möglichkeiten eine Richtig/Falsch-Entscheidung zu treffen, ist die korrekte Antwort eigentlich immer: Beides.

  13. REPLY:
    von der englischen Bedeutung des Begriffes „proper“ ausgehe, habe ich demnach keinen Körper im eigentlichen Sinn. Oder jedenfalls keinen „richtigen“. Nicht die Kleidung muss mir passen, sondern ich der Mode. Eh klar.

  14. REPLY:
    herr ereignishorizont, vielleicht gehören sie einer neuen spezies an!
    und machen sie mir bitte nicht meine wunderbaren allgemeinplätze kaputt, sie! wie man unschwer sehen kann, übe ich für eine karriere als lebesratgeber-sachbuchautorin.

  15. REPLY:
    dann haben wir uns mißverstanden bzw. ich habe in meiner schnelldenkerischen art wieder mal das falsche fremdwort verwendet.
    seit ich mich von dem gedanken gelöst habe, ich wäre zu dick, nähe ich nicht mehr für mich. denn das hauteng gestylte gefummel für die „normalen“ größen nervt mich. das kann ich auch kaufen.
    bei mir entsteht so was tatsächlich im kopf. als ich noch der meinung war, ich hätte ein figurproblem, so mit 20 und 10 kilo leichter, hab ich mir die irrsten sachen entworfen.

  16. REPLY:
    ein doppeltes Missverständnis vor, denn ich hatte nicht daran gedacht, Normgrößen einfach zu erweitern. Ich habe eigene Schnitte, Stoffe und Muster bzw. Farben im Kopf, dezidiert abgestimmt auf Walkürenformat. Selberschneidern ist eine Frage, die es noch zu klären gilt, weil ich damit nicht viel Erfahrung habe.

    Und ? Wie haben Sie sich mit den damals entstandenen Kreationen gefühlt ?

  17. Kaputtmachen lag nun wahrlich vollständig außerhalb meiner Absichten; ich bitte um Entschuldigung. Ich hoffe doch, diesen Allgemeinplatz so sauber und ordentlich zu verlassen, wie ich ihn vorgefunden habe…
    War halt nur der männliche Zwang, meinen Senf dazuzugeben :-)

    Und Lebenshilferatgebung? Bitte! Schauen wir uns doch um, der Bedarf ist ja ohrenbetäubend sichtbar. Also go for it, Kitty! Go-Go!
    Tun se sich doch mitm Herrn Dick zusammen, der hat ja da schon Erfahrungen und Glamourkoma wär auch ein hübscher Teamname :-)

    nicht falschverstehen. auch selbst-und außschließlich eigenständig verfasstes kittykomatöses Material zu lesen ist und bleibt immer ein Vergnügen!

  18. REPLY:
    ich sein frau. ich wollen falsch verstehen, um mal n bißchen rumzuzicken…
    glamourkoma. jaaaa!

  19. REPLY:
    Da fällt mir doch ein:
    Grillparzer: ein Traum ein Leben
    Calderon: das Leben ein Traum

  20. REPLY:
    ich habe meine kleider und röcke über alles geliebt. es war mein stil. teilweise etwas historisierend. immer lange weite röcke, stehkragen, spitzen, borten. aber es war wunderbar.

  21. REPLY:
    @setza: rolf eden, das alte reptil. der jeden schwarm ins café am roseneck auf torte einlädt und dort seinen ebenso gut betuchten altersgenossen sein neuestes junges blondchen vorführt. früher fuhr er dafür im rolls vor, seit er fast blind ist, nimmt er das taxi…

  22. REPLY:
    @ Kitty
    …man sollte hoffen, dass er den B-RE 6000 bald stehen lässt, ja… noch benutzt er ihn…^^

  23. dass mein vater eher eine glatze als weiße haare hat. aber der weiß auch ziemlich viel und redet eher weniger;-)

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