Auf dem Weg zum Homo Ludens

„Du klingst in der letzten Zeit übrigens sehr weich und liebevoll. Irgendwie nach der Entscheidung NICHTS mehr sein zu wollen/zu müssen.“ schrieb die Freundin. Sie kennt mich seit über 30 Jahren und sie hat recht.
Ich weiß nicht, wann das angefangen hat, solche Übergänge passieren schleichend. Vielleicht nach der Woche im März, in der sich alles auf einmal entscheiden sollte und am Schluss nichts passierte. Keine Verpflichtung weit weg von Berlin, vier Wochen vor der Geburt des Enkelkinds, keine 6monatige Arbeitseingliederungsmaßnahme für Deppen und dafür die Einsicht, dass alle Dinge noch eine Weile brauchen.
Ich habe nach einer Phase der Konfusion, in der alles in mir immer noch im Alarmzustand war, denn ich muss bereit sein, auf alles eingestellt sein, es kann sich alles sofort verändern, ich muss kämpfen, kämpfen, nichts kommt von allein… einfach losgelassen.
Vor ein paar Wochen stand ich montags auf und sagte mir, ich mache jetzt nur noch das, was ich will. Das klingt ein wenig kindisch kindlich und das ist es auch. Auf eine gute Art und Weise. Ich wäre eine vollkommene Idiotin, wenn ich die Zeit ohne Existenzdruck, die ich seit November habe, verstreichen lassen würde, nur in der Angst befangen, der Zustand sei nicht von Dauer.
Ich lebe hier und jetzt. Es gibt derzeit keine Veranlassung, so zu tun, als wäre mein Leben ein anderes als das einer Frau, die sich ausruhen und ihre Dinge tun darf. Ich bin zum Homo Ludens geworden.
(Das ist schwieriger als man denkt. Ich habe ziemliche Hemmungen, darüber zu reden oder zu schreiben, dass ich mitten am Tag Dinge tue, die andere Frauen nach ihrem Arbeitstag machen.)

So bin ich von ganz allein in die jetzige Existenz gerutscht. Im Moment sind das viel Handarbeiten. Nähen oder besser, mir etwas auf den Leib schneidern und wieder Maschinenstricken, nachdem ich eine modernere und intaktere Brother-Maschine, als ich sie schon hatte, gekauft habe. Diesmal mit allem Sch… – Doppelbett, Elektrik-Schlitten, Farbwechsler. Mir schwebt da was vor.
Ich bin in Sachen Entwurf und Arbeitsplanung etwas schwach auf der Brust, aber das können der Mann und Primavera. Ein, zwei Modelle durchplanen, gute Farbkombinationen dazu, mal schauen.
Das Ganze hatte seinen Ursprung darin, dass ich Fair Isle-Muster ungern mit der Hand stricken möchte. Es ist mir zu anstrengend, ständig mit den Augen zwischen der Vorlage und dem Gestrick hin und her zu wechseln, weil die Lesebrille das nicht mitmacht.
Die letzten Brother-Maschinen hatten die Möglichkeit, mehrfädige Muster ohne Spannfäden zu verarbeiten, da will ich gern ansetzen. Und dann gibt es noch die Option, Socken zu stricken und rundzustricken…
Die viele Menschen, die mit der Maschine arbeiten, sind technische Nerds, die vom Design her entweder Katzengesichterpullis im 80ies-Style oder XXL-Säcke fertigen. Viele handarbeitende Frauen mit guten Ideen sind wiederum nicht technikaffin und das ist technisch anspruchsvoll. Ich lasse  mich überraschen.
Und so verschwinde ich über Stunden in Wurmlöchern und frickele vor mich hin. Sozialkontakte sind derzeit so gar nicht meine Sache, man möge es mir verzeihen.

Es gab noch etwas, das an mich herangetragen wurde. Ganz vorsichtig, weil es Frauen gibt, die fast beleidigt sind: Die Großmutterrolle stünde mir gut. Es brauche in jeder Familie eine Frau, die Ruhe, Souveränität und Erfahrung ausstrahlt, wo man anlanden könne. Körperlich wie seelisch. Ich nehme das als großes Kompliment.
Ist es wirklich so, dass die Großmütter selten geworden sind? Nun, sie sind älter, weil alle Frauen immer später Kinder bekommen. Eine 73jährige ist eine andere Großmutter als eine 53jährige.
Vielleicht spielen auch veränderte Rollenbilder hinein. Moderne Frauen wollen nicht warten, bis sie gebraucht werden und dann grenzenlos da sein. Und neben Fitness, Weiterbildung, Radtouren, Fernurlauben und Dating für den nächsten Lebensabschnittbegleiter Zeit für die archaische Rolle des Familienhafens zu spielen, das könnte schwierig werden. Wie schreiben sie alle in ihre Profile in Partnerbörsen? „Kein Omatyp“
Welches Kind erinnert sich so? „Meine Oma war kein Omatyp.“ Oma, das war doch immer die weiche ruhige Frau und eine Wohnung mit alten Möbeln und interessanten Gegenständen, das beste Essen der Welt und Dinge tun, die zu Hause aus Zeitmangel oder moderner Lebenshaltung nicht drin sind.
Ich weiß doch auch nicht.

Das Baby ist nun einen Monat alt. Das Kind ist eine vehemente Mutter, auf die ich mal wieder verdammt stolz bin und der Schwiegersohn ist ein toller Papa.

4 Gedanken zu „Auf dem Weg zum Homo Ludens

  1. An Strickmaschinen habe ich sehr schöne Erinnerungen. Als meine Tante in den Fünfzigerjahren mit drei kleinen Kindern zur Witwe wurde, haben ihre Geschwister Geld zusammen gelegt und ihr eine Strickmaschinen gekauft. Damit hat sie ihre Familie ernähren können. Es gab noch kaum Strickwaren in Geschäften zu kaufen und so haben die Leute bei ihr Pullis und Strickjacken bestellt.
    Ich wünsche Ihnen viel Freude mit ihrer Maschine. Auch wenn Sie nicht der typische „Omatyp“ sind, wird das Kleine bestimmt geschmackvoll auf den Leib bestrickt werden.

  2. Ob sich unsere Omas wohl selbst als „Omatyp“ sahen? Vielleicht sieht die Enkelin (jetzt und rückblickend in ihrer Zukunft) etwas anderes als man selbst sehen möchte.
    Sie fühlen sich angekommen, oder? Schön!
    LG
    Martina

  3. Ich bin mir sicher Oma`s kann es nicht genug geben. Ich hatte das große Glück zwei in unmittelbarer Nähe zu haben (nur jeweils 5 Staßenbahnstationen entfernt) und ein Urgroßelternpaar weiter weg. All diese Menschen haben mich geprägt und ich wünsche wirkllich jedem Kind solche Menschen.
    Das Enkelmädchen wird Sie lieben wie/wo auch immer Sie sich einbringen und Sie ihr ganzes Leben im Herzen tragen.

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