Allet uff Englisch oda wat?

Meine Ecke des Twitter-Schulhofes ist vor der Wahl merkwürdig ruhig. Selbst Leute, die vor 4 Jahren noch trompeteten, sie würden alle potentiellen CDU-Wähler entfolgen und nach der Wahl für eine Nacht auswandern wollten, halten sich zurück. (Oder habe ich sie inzwischen entfolgt? Ach, egal.)
Die politischen Ansichten einer Kohorte, die sich vor 7 Jahren noch mit Flausch bewarf und gemeinsam GNTM schaute, haben sich so diversifiziert, dass man vorsichtig über brüchiges Terrain schreitet und möglichst nicht laut wird.
Einig ist man sich höchstens darüber, wer doof ist. Leute, die von woanders herkommen, deren Familie anders drauf ist und glaubt, was besseres zu sein, die im Pullunder auf dem Hof stehen und Zitronensemmel essen. Wenn die dann auch noch die Frechheit haben, was gegen die coole Gang zu sagen, die auffällig in der Ecke steht und sonderbare Frisuren und Bräuche hat, dann haben alle ein Opfer gefunden.

Ich konnte das gar nicht zuordnen, weil es sich schon verselbständigt hatte, dass sich alle über einen Abgeordneten lustig machten, der scheinbar kein Englisch konnte. Nein, Englisch konnte er doch. Dann ging es darum, dass es doch kein Akt wäre, im Alltag in Berlin Englisch zu sprechen. Kann doch jeder, der kein vernagelter Hinterwäldler ist. Macht doch auch jeder, der dazu gehören will. Ist ja schließlich Berlin. Haha.
Dass beides miteinander zu tun hatte und scheinbar auf diesem Interview einer Provinzzeitung basierte, in dem sich ein Politiker im Wahlkampf als konservativ und provinznah markierte und ein einziger Satz zum Thema englisch sprechende Bedienungen in Berliner Restaurants fiel, ist es schon interessant, woran sich die Twitterblase dann reibt. Die Berliner Zeitung fasst einen Teil davon hier zusammen. Der Politiker schob dann in der ZEIT noch mal nach, wann bekommt man denn schon freiwillig so viel bundesweite PR?

Ich bekam nur mit, wie sich alle fürchterlich weltmenschlich und kosmopolitisch gebärdeten. Vor allem diejenigen, die Berlin wie es ist nicht täglich ertragen müssen, sondern irgendwo in Hamburg, Heidelberg oder Freiburg davon träumen.
Als ich losließ: Jo, nervt mich auch und beträchtlich und an einige Erlebnisse hier im Viertel dachte, wo Kellner_innen augenverdrehend nicht mal die Bestellung eines Milchkaffees auf deutsch entgegennehmen konnten und ich im Innendeko-Laden leider nicht die für mich erforderlichen Eigenschaften eines teuren Stiftes erfragen konnte, weil der Verkäufer die Frage nicht verstand und das Problem mir zuschob, weil ich nicht in der Lage war, das auf Englisch zu formulieren (lässt sich beliebig fortsetzen) und gipfelt in den Erlebnissen in dem Kreuzköllner vegetarischen Restaurant, wo die Betreiberin, als die Runde Bier orderte, immer nur hilflos sagte: „Just Zisch!“ und das zwanzigmal hintereinander* – die große Runde amüsiert sich heute noch über das Etablissement, das vor allem im hinteren … ähm Rauchzimmer stark frequentiert war.
Diejenigen, die in ähnlichen Vierteln wohnen und dort lange verankert sind, sahen das ähnlich und stimmten mir zu.

Global gesehen geht es um die lokalen Ausläufer einer riesigen Veränderung. Die kosmopolitische Klasse fließt in diese Stadt wie heißer Asphalt. – Aber das zu bewerten und zu referieren ist hier nicht mein Thema. – Aus der Entfernung mag ich die Veränderungen, die das mit sich bringt. Ich reagiere nur auf die ausgefransten Ränder, an denen es britschelt und kocht. Denn da bin ich. Ich betrachte das deshalb lokal, weil es meine Komfortzone betrifft. Mein Stadtviertel, meinen Kiez, die Homezone, in der ich die Codes kenne. Dachte, dass ich sie kenne. Der Prozess der Entfremdung läuft schon länger.

(Einschub:Ich bin privilegiert. Ich habe keine Mietsteigerungen zu befürchten. Ich habe die Freiheit, hier wegzugehen und woanders weiterzuarbeiten. Ich muss keine Kinder umschulen oder gegen meinen Willen den Beruf wechseln. Ich muss nichts dringend lernen, das ich nicht beherrsche, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ich bin weitgehend up to date.)

Es geht um Teilhabe, entkleidet man den Vorgang um das Fleisch der Emotion. Es werden in den Vierteln, in denen es Usus ist, nahtlos in Schrift und Sprache ins Englische zu wechseln, jede Menge Menschen außen vor gelassen. Es ist eine Distinktionstechnik. Die anderen dürfen aus Scheu, Verunsicherung und Scham gern draußen bleiben.
Das trifft nicht nur rechte Nörgel-Ossis, ignorante Buletten-Westberliner und schulabbrechende Arab-Gangsta.
Im Grunde bleiben alle die außen vor, deren Eltern nicht in der Lage waren, sie zweisprachig aufzuziehen oder ihnen einen Auslands-Sprachaufenthalt zu zahlen, deren Biografie keine anderen längeren Auslandsaufenthalte oder enge Beziehungen mit englischen Muttersprachlern hergab oder die Sprachen an der Uni studiert haben. Denn nur so lernt man eine Sprache so fließend, dass der Wechsel aus der Muttersprache stressfrei ist.
Es betrifft viele.

Und Migranten? Die sollen schließlich auch Deutsch lernen! Und Deutsch ist die schwerere Sprache!
Mal davon abgesehen, dass auch nur oberflächliches Englisch eine leichte Sprache ist, ja, das ist die Anforderung. Darauf lässt man sich jeder Mensch ein, der ins Ausland geht.
Der Preis, der gezahlt wird, ist eine sprachliche Unsicherheit über 1-2 Generationen hinweg und der schleichende Verlust der Ursprungssprache.
Es geht noch schlimmer: Wenn du auf Mallorca aus dem deutschen Ghetto raus willst oder musst, dann solltest du Mallorquin (das ist ein Dialekt des Catalan) zumindest verstehen, besser sprechen können.

Ich habe in den Zwischenzeiten, in denen ich auch hätte rumgammeln können, lieber Skripten gelernt. In den 8 Wochen nach einer schweren OP zum Beispiel, als ich kaum arbeitete.
Zu einem längeren Auslandsaufenthalt, abgesehen von einigen Wochen British Columbia, hat die Zeit nicht gereicht. Ich habe ein Kind groß gezogen und sehr viel gearbeitet.
Der Kindsvater bekam in den 90ern vom Staat eine Umschulung samt Sprachunterrricht und halbjährigem Londonaufenthalt bezahlt. Ich habe parallel keinen Unterhalt bekommen, hatte eine 60-Stunden-Woche, war Steuerzahlerin und habe fürs Kind gesorgt, zu dem er nicht einmal Kontakt hatte. Nur mal so als Hausnummer, um Verhältnisse klarzumachen.
Mit meinem selbst beigebrachten Englisch, denn ich habe es nicht mal in der Schule gelernt, habe ich Vorträge gehalten und Vertragsverhandlungen geführt. Ich lese populäre Texte, aber keine Romane, sobald es diffizil wird, steige ich aus Originalton-Filmen aus. Denn es strengt mich wahnsinnig an. Das ist nichts für meine Freizeit.

Ich habe alles Recht der Welt, genervt zu sein, wenn ich in eine Veranstaltung gehe, an der nur Deutsche teilnehmen, die alle (größtenteils schlechtes) Englisch sprechen, um, ja was? Um sich cooler zu fühlen? Um anders zu sein?
(Ich hatte mal in einem Seminar eine Studentin, die sagte, sie könne nur öffentlich sprechen, wenn sie englisch reden würde. Wenn sie deutsch sprechen würde, klänge sie zu banal.)
Ich finde es ärgerlich, dass Kneipen in Vierteln, in den ich früher gern im Café saß, nicht mal mehr deutschsprachige Speisekarten haben und die Besitzer des Ladens nicht darauf achten, dass die Bedienung wenigstens ein paar Service-Floskeln auf Deutsch lernt.

Aber das ist nur ein Symptom einer viel größeren Entwicklung. Als es um die Zeit der Bankenkrise losging, dass Berlin sich internationalisierte, denn hier bekam man was fürs sein Geld, kamen sehr interessante Leute und was sie mitbrachten, gab der Stadt den Ruf, von dem sie heute lebt. Es gab plötzlich hervorragendes Essen, Dinge, die man nicht unbedingt braucht, die aber schön sind, Veranstaltungen und Ausstellungen jenseits des selbstreferentiellen subventionierten Kulturbiotops. Das war ungeheuer inspirierend.
Klar, es gab auch die Pubcrawler und Flatrateficker, aber die wurden nach einer Nacht schnell nach Hause gekarrt.
Ich habe den Eindruck, dass viele Leute, die nun wegen der Legende nach Berlin kommen, anders sind. Sie haben keinen Plan und wenig Kohle, wenn der Scheck von Papa alle ist. Sie suchen irgendwas, das wahrscheinlich eher in ihrem Akzelerationsprozeß zu finden ist als an einem Ort. Lauter kleine Hunde, die zum Jagen getragen werden möchten.
Die keinen Bock haben auf die McJobs, die sie hier mit ihrem Potential finden und ohne Anstrengung machen können und das auch zeigen. Die im Moment – jeder hat diese Phase im Leben, manch einer kommt da nie raus – erst mal Gleichgesinnte finden, Party machen und Drogen nehmen wollen und anderes, was ihnen zu Hause verboten war.
Dazu kommen dann noch massenhaft Homeless, Hobos & Schizos International und irgendwann hast du den Kanal voll.
Die Ordnungsinstitutionen dieser Stadt haben schon längst kapituliert. Du kannst es nur lieben oder lassen, verändern wird sich das nicht.
Um auf das Ausgangsthema zurückzukommen: Aus der Entfernung sieht es idyllischer aus als es ist.

Nebenbei: Man kann sich dem globalen Thema auch nähern, statt es wie ich zu umschiffen. Nicht ganz so wütend. Konstatierend. Wie Spalanzani in Vigilien. Unbedingte Leseempfehlung.

*Die dann nicht in der Lage waren, die Wochen vorher angemeldete Fest-Runde über die vorbereitete Suppe und den Salat mit Hauptgerichten zu versorgen und Zisch! (nach einer Viertelstunde war klar, sie meinte eine Bio-Bier-Sorte) und Red Wine waren nach anderthalb Stunden, in denen wir immer wieder nach dem Verbleib der Orders fragten, alle.

20 Gedanken zu „Allet uff Englisch oda wat?

  1. Danke für den Beitrag. Mich berührt die Debatte nur sehr am Rand, aber ich fand den mitschwingenden Zorn und Eifer sehr erstaunlich und auch sehr Berlin. Ich kann mir so eine Debatte in Paris einfach nicht vorstellen und ich sage das als sehr offensichtlich Nicht-Deutschmuttersprachler.

    • Es ist ja nicht mal Berlin, sondern Möchtegern-Berlin. Das ist ja das Nervige.

  2. Ja, genauso sieht’s aus. Ich bestelle in Mitte immer erst mal auf Deutsch – aus Prinzip, obwohl ich gut Englisch kann. Mir scheint das Phänomen übrigens tiefer zu gehen: Neulich sah ich einen Lieferwagen mit Berliner Kennzeichen, wo ganz groß CONCRETE BUILDERS draufstand. Klingt wohl cooler als Betonbauer. Oder die Chemische Reinigung/Änderungsschneiderei im Prenzlauer Berg mit der Aufschrift: DRY CLEANERS/ALTERATIONS. Viele Anwohner werden das gar nicht verstehen. Oder sich nicht in den Laden trauen, aus Angst, dort Englisch sprechen zu müssen. Wenn wir unsere eigene Sprache als uncool empfinden, stimmt etwas nicht. Insofern gebe ich Spahn Recht. Allerdings frage ich mich, ob das den Rest der Republik wirklich interessiert, was in unserer Mitte-Blase so vor sich geht… Ich lese immer wieder Artikel, wo ich denke: Das geht völlig an dem Landwirt in Niedersachsen oder der Krankenschwester in Thüringen vorbei. Aber das ist wieder ein anderes Thema…

    • Es interessiert außerhalb der Blase wirklich keine Sau. Spahn hat das gut genutzt. Denn Printzeitungen, deren Macher in der Blase stecken, springen sofort darauf an.
      Und er hat auch mit der Parallele zur Distinktionssprache Französisch vor 200 Jahren recht. Das war die Sprache derer, die europaweit qua Geburt vernetzt waren. Nur in der Sprache konnte man klug und kreativ sein, alles andere waren die Dialekte dummer Bauern.
      Bis zu dem (unterstellten) Satz: „S’ils n’ont pas de pain, qu’ils mangent de la brioche.“

  3. Ich habe das auch mit Erstaunen verfolgt und mich zuerst gefragt, ob da nicht Einzelfälle hochstilisiert werden. Aber offenbar ist es ja inzwischen tatsächlich mancherorts in Berlin in Cafés und Restaurants so (ich lebe seit 8 Jahren nicht mehr da), dass NUR Englisch verstanden wird. Das lässt mich dann auch etwas ratlos zurück. Natürlich erwarte ich schon in so einer Stadt wie Berlin, dass die Bedienung AUCH Englisch kann, und das ist auch absolut eine super Sache, keie Frage! Ich finds auch immer toll wenn ich in Skandinavien bin und dort jeder super Englisch kann (obwohl ich mir auch die Mühe gemacht habe, die wichtigsten Floskeln auf schwedisch zu lernen bevor ich da in den Urlaub gefahren bin).

    Hier in der Grenzregion zu Frankreich gibt es auch in fast jedem Restaurant die Karte auf deutsch UND französisch und das Personal beherrscht in der Regel beide Sprachen (zumindest den Wortschatz, den man in dem Kontext halt so benutzt), und das ist auch schön und weltoffen.

    Aber wenn in einem Restaurant in Deutschland deutsch gar nicht verstanden wird, läuft echt was falsch. Sorry, aber Spahn hat echt einfach Recht. Er hat ja gar nicht kritisiert, dass in Berliner Locations Englisch gesprochen wird, er hat kritisiert, dass deutsch nicht mehr verstanden wird. Das ist schon wichtiger Unterschied, und diejenigen die jetzt so genüsslich darauf herumhacken tun ja gradezu so, als hätte er ersteres getan. Und sorry, das ist mir einfach echt zu billig jetzt so zu tun nach dem Motto „haha, guckt mal der doofe CDU-Typ da, kann ja noch nichtmal Englisch, haha“. Da könnten sich jetzt hier in der saarländischen Provinz genauso Leute hinstellen, im grenznahen deutschen Restaurant nur französisch sprechen und die Berliner Hipster auslachen, die weder mit deutsch noch englisch weiterkommen würden. Nur auf den Zug würden dann nicht so viele aufspringen weil klar, das sind nicht die coolen auf dem Schulhof…

    Das Argument mit Migranten ist im Übrigen auch völlig richtig, deutsch lernen ist schon schwer genug, da kann ich nicht erwarten dass auch noch Englisch beherrscht wird.

    • Ich finde es immer wieder herzerfrischend, dass genau die Leute, die sonst sofort „Diskriminierung“ schreien genau hier munter drauf los diskriminieren.
      Für die ist halt jeder, der nicht fließend englisch spricht, faul und blöd.

  4. Gute Analyse. Ich hatte mal mit der PR- und Social-Media-Verantwortlichen einer US-Firma zu tun, die Produkte für Selbermacherinnen anbietet und die hier in B. vor einiger Zeit eine Filiale eröffnet hat. Sie sprach so gut wie kein Deutsch (meine Verabschiedung „schönes Wochenende dann!“ verstand sie jedenfalls nicht), ich sprach notgedrungen Englisch und fragte mich, was wir da eigentlich trieben. Die Beiträge für das deutsche Unternehmensblog ließ sie aus dem Englischen übersetzen. Ein deutschsprachiger Shop war angeblich in Arbeit, den gibt es bis heute nicht, so weit ich weiß. Was mich nicht wundert – die ganze Firma war so „international“, d. h. fast ausschließlich englischsprachig, wie sollen die in einer für sie völlig fremden Sprache so eine Seite aufbauen? Und mit deutschen Dienstleistern kommunizieren? Und testen, ob das beim deutschen Kunden ankommt?
    Was mich so ärgerte: ich übernahm notgedrungen die ganze Last der Kommunikation, unterhielt mich zwangsläufig etwas weniger komplex, als ich mich in meiner Sprache ausdrücken kann und fühlte mich die ganze Zeit unwohl, weil ich den Eindruck hatte, dass mein Gegenüber überhaupt nicht kapiert, was es mir da zumutet und wie sehr ich ihm gerade die ganze Zeit entgegenkomme. Es wurde für völlig selbstverständlich gehalten, dass ich einigermaßen fließend Englisch spreche; wenn ich nach dem richtigen Wort suchte, wurde mir mit hochgezogenen Augenbrauen nachsichtig ausgeholfen.
    Ich war dermaßen genervt und habe diesen beruflichen Kontakt dann nicht vertieft – sollen die doch sehen, wie sie die deutsche Kundschaft gewinnen. Vielleicht kommen sie ja irgendwann von selber drauf, auch ein paar „Eingeborene“ zu beschäftigen.

    • Danke!
      Ja, das Phänomen kenne ich auch. In den englischsprachigen Veranstaltungen, an denen nur Deutsche teilnahmen, war die Diskussion dementsprechend oberflächlich. Man konnte halt nur das kommunizieren, was man in der Fremdsprache ausdrücken konnte.

  5. Mal wieder eine sehr interessante Innensicht, vielen Dank.
    Bislang hatte ich es für einen (mittelguten) Scherz gehalten, dass bayerische Englischlehrende ihre Klassen zum Lernen motivieren: „Damit ihr in Berlin einen Kaffee bestellen könnt.“ Jetzt nicht mehr.

    • Das Verrückte ist, dass der Übergang so schleichend war. Erst hatte man englische Aufschriften für die Touristen, dann übernahmen die ersten Expats (eben nicht Migranten wie die Türken oder Vietnamesen) Kneipen und Cafés und waren zweisprachig. Jetzt wird vorwiegend für Expats gegründet. Man bleibt unter sich, wie die Deutschen in Mallorca.
      Es ist natürlich auch ein Riesenproblem, dass es kaum noch Servicekräfte und Verkäufer auf dem Arbeitsmarkt gibt, da bekommt jeder Neuankömmling einen Job, solange er englisch spricht.

  6. Also ich, so eine richtige berliner Pflanze, freue mich über jeden der noch berlinert. Gerade gestern (beim Brandenburger Musiksommer) zwei Mariendorfer (alte) Witwen. So eine herzerfrischende herzerwärmende lebnskluger Berliner Schnauze – ganz großes Kino.
    Und ich bin ehrlich, schwäbelnde oder denglish sprechende berliner Mitmenschen meide ich wo ich kann und ich habe das Privileg – ich kann!

  7. Inzwischen habe ich es hier in Berlin schon viermal erlebt, dass eine Bedienung NUR Englisch konnte, und mich teilweise sogar sehr von oben herab darauf hinwies, dass ich Englisch sprechen müsse. Auf die Idee, dass die nur Expats wollen, bin ich noch gar nicht gekommen.
    Ein Freund von mir wurde in einem Szenerestaurant vor Kurzem richtig sauer und bestellte demonstrativ auf deutsch, mit der Ansage, dem jungen Mädchen nun ein paar Brocken Servicedeutsch zu lehren. Sie tat mir dann auch leid, denn was konnte sie dafür, dass die Chefs sie offenbar mit der Versicherung eingestellt hatten, fehlende Sprachkenntnisse seien kein Problem. Ziemlich vielschichtig, die Sache. (Ganz abgesehen von der gewollten Distinktion dieser globalen Szene, wie du u. Spahn es ja beschreiben).

  8. Applaus auch von mir für diesen Artikel.
    Gemessen an Berlin wohne ich in einer Kleinstadt und hier, so denke ich
    jedenfalls, können die meisten Bedienungen AUCH Englisch, erledigen ihren Job aber normalerweise auf Deutsch, genauso wie die Speisekarten oft zweisprachig sind, aber eben nicht ausschließlich. Mich nerven diese, zum Teil auch extrem falschen Anglisierungen ganz fürchterlich und ich verstehe nicht, was das soll.
    Mir ist das mal in einem (Billig-)Hotel in Wien passiert, das der Knabe an der Rezeption kein Deutsch verstand und mich gefragt hat, ob ich Englisch spreche. Was macht aber jemand, der tatsächlich kein Englisch kann, weil er nie die Möglichkeit hatte, diese Sprache zu lernen? Soll der sein Anliegen dann vortanzen?

  9. als berlinerin (mit 125 jahren berliner familiengenen) mache ich folgende rechnung auf: 15 millionen gäste im jahr bedeuten rd 41 tsd täglich. die wollen essen und trinken. ich schätze mal das die im touribereich befindlichen essensplätze das abdecken können – ergo bleibt kein platz frei für berliner, deutsche, deutsche berliner . . . wozu dann deutsche bedienung ? is‘ doch eine ganz einfache überlegung . . .
    tja, es ist eben nicht so einfach hier wenn man nicht ausnahmslos multikulturell sein will. und es wird schwerer für einen selbst wenn man jenseits der 50 ist. man weiß dass man sich so etwas nicht wirklich antun muß. und ja, wer priviligiert ist, wird dann diese stadt verlassen. berlin wird sich ungewollt verjüngen. ob das ein vorteil ist, wage ich dennoch zu bezweifeln.
    und am rande bemerkt, das english der servicekräfte ist ja bei denen mehrheitlich auch nur fremdsprachlich. fällt aber nur den englisch-muttersprachlichen wirklich auf.
    passt also alles bestens in unsere verdummte bildunglandschaft.
    nicht aufregen.
    flüchten.
    dann klappts auch mit dem ruhig bleiben.

  10. Danke für diesen Artikel, auf den MlleReadOn verlinkt hat. Ich selbst gehöre zu den privilegierten jungen Leuten mit Auslandsaufenthalt und mühelosem Wechsel zwischen Englisch und Deutsch. Trotz allem würde ich in Deutschland erwarten meine Bestellung auf Deutsch abgeben zu können so lange es kein extrem exotisches Restaurant ist.
    Wie schnell man so viele Leute ausschließt merke ich immer wieder an der Generation meiner Eltern, die als gelernte DDR Bürger nie die gleiche Chance auf den Spracherwerb hatte. Folglich verstehen sie (für mich) einfache Wortwitze/Aussagen auf englisch nicht, die ich manchmal unbedacht weiter leite. Und dann fange ich immer wieder an zu hinterfragen wieviel wir hier manchmal einfach nur englisch beschriften damit es „cooler“ aussieht und damit Leute ausschließen…

  11. Es ist schon eine Weile her, dass ich zuletzt in Berlin war. Damals hatten die Bedienungen, die einen auf Englisch ansprachen, alle einen grauenhaften deutschen Akzent. Was ich denen auch gesteckt habe, wenn die mir zu blöde kamen.

  12. Als Dolmetscher und längstjäriger ex-Berliner kann ich bestätigen, dass viele Deutsche ihr Englisch in einer Art überschätzen, die für mehrere Doktorarbeiten in Dunning-Krügerologie ausreichen würde. Wenn eine kleine deutsche Studentin meint, wie im Text beschrieben, dass sie auf Englisch vortragen müsste, weil sie auf Deutsch sonst zu banal klinge, dann kann das durchaus daran liegen, dass das, was sie auf englisch vorträgt, tatsächlich schlich und ergrefend banal ist, dass ihr Englisch aber so rudimentär ist, dass sie es nicht merkt. Klingt ja so exotisch. Auf Deutsch aber, da merkt selbst sie es. Aber statt ihre Aussagen zu verbessern, ihre Ideen zu vertiefen, anstatt also originell und tiefsinnig zu werden oder es wenigtens zu versuchen, findet sie es leichter, die banalität des Dummgeschwätzes auf Englisch zu kaschieren.
    Bei Politikern und sog. Experten (früher: Sachverständige) ist es zum Teil noch schlimmer. Ich schätze, das trägt auch zum Erfolg von Twitter bei: mancher denkt wohl, auf 140 Zeichen passen weniger Fehler rein, ist also gut. Sad!

    • Danke. Diesen Aspekt hat noch niemand so richtig wahrgenommen. Daß wir flaches Geschwätz und Nachplappern perpetuieren, wenn wir in die mäßig beherrschte Fremdsprache wechseln.

  13. Diese Distinktionsvollpfosten gibt es nicht nur in Berlin. Die großartigste Erfahrung, die ich einmal in dieser Hinsicht machen wurde war im FRIAS, dem Freiburg Institute for Advanced Studies. Dort hatte ich einen befreundeten italienischen Historiker, der auf französisch publiziert, zu einem Vortrag begleitet. Er hielt den Vortag auf Deutsch, bat dann aber darum, in der Diskussion auf französisch antworten zu dürfen (wir sind hier schließlich Grenzregion), weil er da seine Gedanken besser formulieren könne als auf deutsch. Wir boten auch an, die Antworten dann zu übersetzen, falls jemand kein Französisch können sollte. Keiner dieser „advancten“ Akademiker getraute sich zu sagen, dass er kein Französisch kann – weshalb der größte Teil der Anwesenden die Antworten nicht verstand. Und der allergrößte Trottel stellte dann auch noch seine Frage auf Englisch. Exzellenzinitiative halt…

  14. Was ich erstaunlich finde, ist, dass es ganz entgegengesetzt etliche Englisch-Muttersprachler gibt, die im Berliner Gastgewerbe arbeiten und gut bis sehr gut Deutsch sprechen können. Mehrfach erlebt z.B. bei BRLO am Gleisdreieck. Es geht also, wenn man will.

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