5.7. 2010

Same procedure as every day. Zeitung lesen und frühstücken auf dem Balkon.
Mit ziemlich viel Bummelei (modern: Prokrastination) quälte ich mich durch einen Papierstapel. Letzte Woche hatte ich alles in 5 Stapel eingeteilt, die ich nach Priorität abarbeiten will. Ablage ist nie meine Stärke gewesen.
Anruf eines Klienten. Erst freundlicher Smalltalk, aber ich hörte schon, daß er etwas auf dem Herzen hat. Dann: „Ähm, ja, es ist mir schrecklich peinlich, aber ich habe da auf einer Party das Gerücht gehört, Sie hören auf.“
Ich konnte ihm das Gerücht nur bestätigen. Branchentreffen sind also doch Informationsbörsen, sieh an. 3 Leute wußten es, drei Leute waren vorerst um Stillschweigen gebeten worden. Also ist es an der Zeit, die Briefe an alle rauszuschicken, die Entwürfe sind seit Freitag fertig. Das wird eine heftige Woche.
Ich druckte die Briefe aus und legte sie noch einmal für eine Warterunde auf den Schreibtisch. Es ist etwas völlig anderes, entlassen zu werden und sich von seinen langjährigen Arbeitskontakten zu trennen, als das selbst zu entscheiden, Menschen, die einem doch nahe waren, zurückzulassen und einen noch vage konturierten Neustart zu wagen.
Die Briefe auf dem Schreibtisch waren eine Last, über der ich zwei Stunden schlief, wie kurz nach der Entlassung aus der Klinik.
Danach machte ich erst einmal die überhitzte Wohnung regenfest, denn der Himmel war schwarz. Doch das Gewitter ließ sich Zeit. Ich verhandelte einen Vertrag, bekam einen Anruf von Mr. Horror, den ich Gott sei Dank kurz halten konnte und präparierte mich für meinen Abendtermin.
Die Spreepiratin mußte lange auf mich warten. Ich bin seit mehr als 20 Jahren Berlinerin und verwechsele immer noch die Veteranenstraße mit der Weinbergstraße. Es war ein schöner lauer Abend, noch immer ohne Regen. Was wir besprachen, gab mir Kraft – und ich hoffe nicht nur mir.
Kaum war ich zurückgekehrt und lag auf dem Sofa (der Fernseher läuft für meine Bedürfnisse immer zu laut), war die Luft in der Wohnung sprühtröpfchengesättigt. In jedes geöffnete Fenster stiebte der Regen. Wir machten alles dicht, wischten das Parkett trocken und gingen dann im Regenrausch schlafen. Ich war aufgekratzt. 5 Kaffee, 1 Red Bull und jede Menge Veränderung.

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10 Gedanken zu „5.7. 2010

  1. Bei all meinen Abgängen hatte ich immer dieses Bild vor Augen:
    Lot verlässt mit seiner Frau Sodom und Ghomorra.
    Keiner dreht sich rum, nur eben Lots Frau.
    Und sie erstarrt zur Salzsäule.
    Das Gehen ist nur erträglich, wenn man den Blick auf das zurückliegende Elend vermeidet.
    Viel Glück beim Nachvorneschauen!

  2. REPLY:
    ich glaube, ich bin immer noch diejenige, die mir selbst am meisten die energie wegsaugt.

  3. REPLY:
    meine schlimmsten jahre im leben waren die, in denen ich mir sagte, dass ich noch ein paar monate so durchhalte.

    keine echte perspektive. heute würde ich das jugendlichen schwachsinn leichtsinn nennen …

  4. REPLY:
    … ich empfehle hingegen, mit etwas abstand noch mal sehr sehr genau hinzuschauen. damit man das drama beim nächsten mal schon erkennt, bevor es überhaupt richtig da ist.

  5. Stichwort „schlafen“:
    Mittlerweile horche ich in mich selber hinein, wenn ich wie aus heiterem Himmel und ohne erkennbaren Anlass von einem anfallsartigen Schlafbedürfnis heimgesucht werde; anhand dieser Beobachtungen weiß ich jetzt schon recht gut, welche Situationen und/oder Menschen mich zuviel Energie kosten. Das geht umgekehrt übrigens auch: Wenn ich um Mitternacht noch vollkommen überdreht (aber im positiven Sinn) bin, obwohl ich weder Koffein noch sonstige spezielle Substanzen zu mir genommen habe, kann ich davon ausgehen, dass die Gesellschaft, in der ich den Abend verbracht habe, großartig war.

  6. ich konnte auch nicht schlafen, und kann es am wenigsten auf den kaffee schieben. man entdeckt keine neuen erdteile, ohne den mut zu haben, alte küsten aus dem auge zu verlieren. wird zeit, den anker zu lichten.

  7. REPLY:
    mit abstand sollte man auf jeden fall noch mal hinschauen, aber nicht beim aufbruch.

  8. REPLY:
    meine schlimmsten jahre im leben waren die, in denen ich mir sagte, dass ich noch ein paar monate so durchhalte

    oh ja.

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