Geburtstag unterm Apfelbaum

Wie jedes Jahr, seit er ein Haus im Grünen hat, feierte der beste Freund seinen Geburtstag mit Grill, Lagerfeuer, diversen Nudelsalatschüsseln und einem Wassercontainer voll Bier im Garten. Das Wetter spielte mit, es kamen zwar immer mal ein paar Tropfen vom Himmel, aber für Regen reichte es nicht.
Seine Freunde sind mir äußerst sympatisch, alles Menschen, die schon fast oder gänzlich erwachsene Kinder haben, nicht profilneurotisch, sondern geerdet sind und interessante Jobs in der halben Welt haben. Ab und zu kommt auch mal jemand Neues dazu, ein frisches Kind oder eine neue Freundin.
Das Kind, das letztes Jahr noch ein Baby war, grub gestern hingebungsvoll mit einem Plastikbesteck das Blumenbeet um, bis es einen vollkommen schwarzen Bauch hatte. Eine andere Dame hatte ein Date, das sie gerade zwei Stunden vorher getroffen hatte, mitgebracht, um ihn an den Tisch zu anderen zu setzen und fortan zu ignorieren. Das war auch ein etwas sonderbarer Vogel. Typ eisgrauer Frührentner (also seiner Auskunft nach war er allerdings selbständig) in Funktionskleidung, der sich mittels starker Meinungsäußerung in Internet, vor allem in den Foren der Onlineausgaben der Zeitungen, mitten im Leben hielt. Ein Leserbriefschreiber also.
Daneben saßen Leute aus der Nachbarschaft. Wir setzten uns dazu und kamen Grillfleisch kauend auf das Thema Organtransplantation.
Ich bin da ja eine olle Opportunistin. Für den Fall, daß es doch so was wie das Jüngste Gericht oder eine andere Form von Wiederauferstehung geben sollte – man kann ja nie wissen, Erich Honecker hat ja auch gesagt, die Mauer würde noch 100 Jahre stehen und nix wars – möchte ich einfach nicht mit jemand anders darüber diskutieren, wem denn nun das Herz gehört und mir schon garnicht von irgendeinem Erzengel sagen lassen, daß wir uns das in Zukunft teilen sollen. Also bin ich dagegen. Ich lasse mich nicht ausweiden und nehme nix an von einem armen Schwein, das ausgeweidet wurde. Wenns vorbei ist, dann ists halt vorbei.
Ich machte so einen Spruch in die Richtung und meinte ironisch, daß es schlecht fürs Karma wäre…
Ok., da hatte ich dann was ausgelöst. Nein, ich wurde nicht beschimpft. Es gab einen Eso-Disput erster Güte. Über die fremden Schwingungen in fremden Organen, über die Amalgam-Ausleitung des eisgrauen Frührentners, der dabei Symptome von Krätze gezeigt hatte, über Bei-Sich-Sein beim Arbeiten (das ginge nur als Selbständiger, daß man richtig Ruhe im Büro hätte und sich spüren könne … aha) und als der Graf nonchalant-provokant das Stichwort Aurafotografie einwarf, mußte ich erstmal dringend ein Glas Wasser holen, weil die Entspannungsübungen zum Klappe halten nix mehr nutzten. Leider konnte ich garnicht so lange nach der Wasserflasche suchen, als ich zurückkam, war man immer noch dabei. Wußten Sie übrigens, verehrte Leser, daß Kinder bis zum 15. Lebensjahr und überhaupt immer mehr Menschen Auren sehen können? Und Tannenbäume haben die am leichtesten sichtbare Aura…
Die Nachbarin war in ihrem Element, wie es schien. Komisch, wenn ich mich recht erinnerte, hatte sie sich letztes Jahr als Teilzeithausfrau und Bibliothekarin oder Grundschullehrerin oder so vorgestellt (Männe ist Polizist) und schien noch garnicht so erleuchtet.
Als der eisgraue Frührentner sie fragte, was sie beruflich tue, meinte sie: „Ich bin Coach. Ich berate Menschen zum Thema Kommunikation und Beruf.“ Ich schaute ganz ganz tief in mein Wasserglas und hoffte, daß es nicht auffiel, daß ich seit langer Zeit garnichts mehr sagte. Die erleuchtete Nachbarin referierte derweil darüber, wie sie Langzeitarbeitslose in ihren Seminaren motivierte, wieder auf den Arbeitsmarkt zu gehen – aber selbstverständlich nur nebenbei, eigentlich sei sie ander Universität tätig, in der Lehrerweiterbildung und vor allem biete sie Einzelsitzungen an.
Da ich einmal im Klappe halten geübt war, machte ich das weiter. Was sollte ich jetzt anfangen mit „Oh, da haben wir ja den gleichen Beruf…“ Ich fürchte, ich wäre recht zynisch geworden. Die gräfliche Höflichkeit beherrsche ich ja nicht, zumindest nicht in time, sondern erst  mit 10 Stunden Verspätung, die mir hier einen Small Talk jenseits von Aurasehen ermöglicht hätte.

Irgendwann verschwand der Frührentner wieder zu seinen Leserbriefen, nicht ohne eine Visitenkarte der erleuchteten Nachbarin einzupacken und zu versprechen, er melde sich.
Wir setzten uns derweil ans Lagerfeuer und testeten, wieviel Leute eine Bierbank aushält. Also bei sechsen bricht sie zusammen…

Veröffentlicht unter Leben

Himpelchen und Pimpelchen

Derzeit habe ich immer wieder Amtstermine. Nicht inspirierend, aber nötig. Meist sind die SachbearbeiterInnen sehr freundlich, denn Amt Mitte bedeutet ja seit einigen Jahren auch Amt Wedding und die Klientel ist da sehr, sehr speziell. Ich vermisse allerdings die ollen Ossis in den Beamtenstuben. Der Graf berichtete mir von Leuten beim sozialmedizinischen Dienst im Amt hinterm Alexanderplatz, die ihren Job wahrscheinlich schon unter Ulbricht angetreten hatten.
Jedenfalls, man freut sich, daß ich der deutschen Sprache mächtig bin, etwas Small Talk kann, mich in der zu bearbeitenden Materie kundig gemacht habe, alle Papiere dabei habe und nicht in Klage- oder Schimpfkanonaden ausbreche.
Als ich dann heute über meiner schwarzen Mappe mit den Kopien und Formularen saß und der jungen Dame mir gegenüber etwas erklären wollte, war da plötzlich ein schwarzes Loch im Kopf. Nach gut einer Minute ging es dann weiter, aber zwischendurch wußte ich nicht, was ich ihr gerade sagen wollte und worum es ging. Ich erläuterte den Hänger kurz und sie meinte „Kenn ich. Ich bin hier die Quotenbehinderte. Ich habe MS.“ Sie mußte im Gegenzug ständig nach nebenan laufen, um die Kollegen auf die Formlare schauen zu lassen, damit sie keinen Fehler macht. Liegt meine Zukunft etwa in einem Deutschen Amt im Zuständigkeitsbereich Al-… bis Bos… ? AAAAHHHH!

Um dann noch mal was Erbaulicheres kund zu tun: Nur an den Pyramiden am Berliner Airport wurde länger gebaut, nun ist der Wanddurchbruch in den letzten Arbeitsgängen. Morgen gibt es einen Stucco-Glätteseife-Marathon, weil ich dann am Stück durcharbeiten muß, der Dreck in der Wohnung ist schon längst Vergangenheit (Gott sei Dank) und nun gibt es zwei Zimmer mit Durchgang.
Man erinnere sich, eines schönen Samstags nahm der Graf den Meißel in die Hand, um zu schauen, was wirklich in der Wand drin steckt.

Siehe da, ein eichener Sturz und eine verfüllte Türöffnung. Es kamen Unmengen von Ziegelsteinen zum Vorschein.

1A Berliner Weichbrand-Vollziegel, wahrscheinlich aus irgendwelchen Trümmerfeldern, weil manchmal etwas geschwärzt und kaputt. Miz Kitty betätigte sich daher stilecht im Trümmerfrauenlook.

Leider nicht von fotografiert: Über dem Sturz lag noch ein gemauerter Bogen. Ganz eigentlich hätten wir das Brett auch rausnehmen können, das ist eh nur dazu da, die Türzarge richtig zu halten, dann hätten wir einen Bogendurchgang bekommen…

Keine zwei Wochen Bastelarbeit mit Zement, Kalk und halben Steinen später (nicht zu vergessen des Grafen heldenhafter Barnimkanten-IronMan, bei dem er über eine Tonne Bauschutt in IKEA-Tüten die Treppe runter transportierte) sieht die Sache nun so aus:

Die Kanten sind nicht schnurgrade (dafür sorgt die Dame, die keinen Geist für Details hat) und links und rechts sind auf beiden Seiten der Wand noch Steckdosen dazugekommen, dafür sorgte der Graf.

Morgen geht es dann also ans Finish, die Farbvarianten hat der Graf schon abgemustert. (Diesmal bleibt das pompeijanische Rot in der Tüte, es gibt einen dezenten Weiß-Dunkle Umbra-Mix.

(PS, die ersten drei Fotos vom Grafen, die anderen beiden von mir…)

Veröffentlicht unter Leben

Spargelessen beim Anblick des Fernsehturms

Nach ca. einem Viertel Jahr Planungsvorlauf schafften wir es nun, endlich das Essen mit dem beste Freund und seiner neuen Frau zu veranstalten. Der Gute ist gerade richtig busy. Kind 1 will ausziehen, verkündet das eine Woche vorher, Papa soll natürlich helfen, Freundin will nach dem Essen noch in einen Club…
Und so begab es sich, daß er 20 Minuten nach unserem verabredeten Termin auf der Leiter 5 Straßen weiter stand, Lampen anschraubte, realisierte, daß er viel zu spät ist und um eine Stunde Aufschub bat.
Nun ist ein dreigängiges Menü für eine Multitasking-Versehrte wie mich eine planerische Herausforderung. Gott sei Dank hatte ich den Spargel noch nicht im Wasser, konnte nach kurzer Irritation die bereits incl. Dressing sich auf dem Feldsalat befindliche Avocado mit Zitronensaft vor dem Verfall retten und dann warteten wir. Der Graf reparierte noch den angeschlagenen Nagellack an meinem großen Zeh, wir lasen und dann…
Junge Junge, da hat der beste Freund sich letzten Sommer aber eine sympathische, kluge und hübsche Person an Land gezogen!
Wir aßen ohne Umschweife, denn alle hatten Hunger. Ich hatte ein Frühlingsmenü gebosselt:
Rapunzeln vulgo Feldsalat (die dann doch etwas fremdländisch aufgepeppt wurden, da mein Sahnedressing zu schwer geworden wäre) mit etwas Grapefruit, Avocado und Mozzarella
Spargel, Sauce Hollandaise, neue Kartoffeln, Schinken
Rhabarber-Crumble
Im ganzen recht gelungen, vor allem die Hollandaise, der Rhabarber hatte zu wenig Crumbles, aber ok…

Also, Herr Lucky, wir  können loslegen, ick hab die Hollo-Bollo einmal geübt, diesmal gibt es kein Rührei mit flüssiger Butter!

Die Alkoholitäten waren etwas knapp bemessen und der von mir testhalber im polnischen Supermarkt mitgenommene Krimsekt halbsüß. Der beste Freund hat wie immer seine Widerstand-gegen das-Weintrinker-Establishment-Nummer gefahren. Der Wein, den er brachte, war gut, wenn Riesling auch besser gewesen wäre. Als ich ihn lobte, meinte er nur trocken: Aldi. Dafür schmeckte er tatsächlich gut (und für den Preis kriege ich fast schon einen Gaul-Riesling im Weinladen am Fuße des Berges).

BTW. Das mit dem Clubbesuch fand dann doch nicht mehr statt.

Ein sehr netter Abend war das und die Ballsaison geht weiter: des Grafen Geburtstag, Glämmy-Birthday, IronBlogger-Biertrinken, des besten Freundes Geburtstag, Frühstück mit Frau Indica, Klassentreffen. Der normale Spätfrühlingswahnsinn…

PS: Was den Titel betrifft, so gab es gestern tatsächlich eine reizende Fernperspektive im Abendlicht in Richtung Südosten.

Blick vom Weinberg nach Südosten zum Tempelhofer Feld

Veröffentlicht unter Leben

Lebe wild und gefährlich

Ich lese gerade berufshalber ein Buch. Es soll ein Hörbuch daraus werden und ich probe mit der Schauspielerin die Texte für den Trailer.
Irgendwann waren wir in unserer Zusammenarbeit darauf gekommen: Erotische Literatur für Frauen, das isses. Da gibt es ziemliche Nachfrage und ein großes Angebot. Ungeheure Schmarrn zumeist, mit männlichen Helden, die aussehen, wie einer von den Chippendales und Frauen, die 45 Kilo wiegen , davon 15 auf den Brüsten und trotzdem in ihrem winzigen Körper immerfeucht riesige Geräte unterbringen, als würden sie einen Truck in einer normalen Garage parken.
Und es gibt authentische Literatur. Die Geschichte einer Frau über 60, die wesentlich jüngere Männer bevorzugt. Die dazu steht, zwischen den Beinen noch äußerst lebendig zu sein. Die ihre Liebhaber, den türkischen Familienvater, seinen russischen Kumpel und den amerikanischen Nerd, annimmt wie ein Geschenk und nicht wie ein must have, das unbedingt zur nächsten öffentlichen Mesalliance gemacht werden muß. Die weiß, wann sich die Tür hinter diesen Männern wieder schließt und das als Bestandteil des Spiels akzeptiert. Eine Frau, die in Swingerclubs geht und erotische Massagen anbietet, für die alten Herren, die nur noch berührt werden können. Keine Traumkörper. Menschen, die qua Jungsein schön sind und Ältere, die das Leben gezeichnet hat.
Ich stocke immer mal beim Lesen. Das muß doch weh tun, denke ich und meine damit nicht die Praktiken, das läßt sich entspannt trainieren. Aber meine Sozialisation, mein gesamtes Inneres wehrt sich dagegen, eine Frau, die Spaß hat, Sex genießt und keinen Mann dauerhaft im Haus hat, intakt zu finden.
Was ist denn besser? Nach einem stundenlangen F… allein einzuschlafen oder nach stundenlangem F…ernsehen? Von Männern nur noch zu träumen, da die attraktiven, begehrenswerten, die auch noch für immer bleiben wollen, für eine 60jährige so rar wie Goldstaub geworden sind? Oder das zu nehmen, was möglich ist?  Junge Männer. Nicht für die Ewigkeit, aber für ein paar Wochen oder Monate.
Ich finde das Buch garnicht sooo erotisch. Ein anderer, viel älterer Roman der Autorin, der die Sommerliebe zu einem 16jährigen beschreibt, ist wesentlich genretypischer. Ich finde das Buch lebensbejahend, mutig und kompromißlos. Ein Happy End wird es nicht geben. Aber sicher irgendwann einen anderen Anfang.

Ingeborg Middendorf: Der Mann, der nicht küßte

Veröffentlicht unter Exkurs