30.3.

Der frühmorgendliche Amtstermin war mal wieder schnell zu Ende. Es sei zu voll, so kurz vor Monatsende und vor den Ferien, ich solle bitte nächste Woche wiederkommen und wenn möglich, die Formulare nicht handschriftlich ausfüllen.
Ich hatte dann Gott sei Dank gesehen, daß man in Acrobat Pro pdfs wie mit einer Schreibmaschine ausfüllen kann und so sieht der Papierkram doch viel netter aus.
Das beschäftigte mich dann doch den größten Teil des Tages und dann war auch bald der Graf mit der Arbeit fertig und wir beide hatten einen Bärenhunger und gingen zu Rosenburger, richtig fett sündigen, aber bio, hehe.
Und irgendwie war der Tag noch jung, die Sonne kam heraus und wir schlenderten, die grauhaarigen westdeutschen Bildungstouristinnen umkurvend, weiter zu RSVP und do you read me?!, bevorzugte Areale des Grafen, weil sie mit Papier zu tun haben. Im letzteren Laden greift der Graf dann ins alleroberste Regal, wo man eigentlich schon das Trittchen nehmen muß und holt sich das Jungsheft runter. Ich denke nur WTF?, will er mir jetzt einen Gefallen tun und  zeigt mir nackte Jungs mit Latte? Seit wann steht der Gute denn auf feministische Mädchenpornos?
Aber der Graf hat ein anderes Problem. Seine Typo! Im gesamten Heft und auch im Giddyheft, das danebensteht. Ohne zu bezahlen. Ohne ihn zu fragen. Ohne ihm ein Belegexemplar zu schicken. (Bei solchem Spaß-Projekt erwartet man ja schon gar keine Bezahlung.) Nicht nett.
Das ereignet sich übrigens alle paar Monate und betrifft nicht nur Projekte, die aus Ambition und Spaß gestrickt sind, sondern auch welche, die richtig Kohle haben. Einen vom Bund finanzierten Film über den Mauerbau zum Beispiel. Ein Kinoprojekt. Da sind es dann auch Plakate, die in der ganzen Stadt hängen, DVD-Cover und Anzeigen.
Und es ist, wie es scheint, ein deutsches Phänomen. Aus dem Ausland wird vorher angefragt oder ein Belegexemplar geschickt. – Irgendwann trudelte auch mal ein neuseeländischer Steampunk-Comic bei ihm ein, dessen inhaltlichen Sinn und Zweck, er erstmal garnicht zuordnen konnte, ist es doch ein ziemlich spezielles Genre.
Ich schätze mal, daß die Mädels vom Jungsheft in den nächsten Tagen Post bekommen werden.

Und sonst? Ein langsamer Abend mit Krimi, Rotwein und Räucherstäbchen.

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29.3.

Unglaublich, was für einen Müdigkeitsschub der Wetterumschwung brachte. Ich robbte irgendwie durch den Tag.
Am Abend schlenderte ich ins Cô Cô, um eines dieser wunderbaren Baguettes zu essen. Irgendwie blieb ich bei meinem Ingwer-Limetten-Tee sitzen und blätterte im Zitty, ein Artikel über Techno nach dem Mauerfall ließ mich sentimental werden, ich bin ja doch irgendwie eine Technomaus, obwohl ich kaum exzessiv die Nächte durchtanzen konnte, weil mich frühmorgens ein Kind mit blanken Augen anstrahlte.
Garniert war der Text mit Fotos des Viertels, durch das ich mich gerade bewegte, aus dem Jahr 1997/98. Leerstehende Häuser, zum Abriß bereit, kein Putz an den Fassaden, Einschußlöcher in den Wänden, Baulücken allerhöchstens mit Baracken aufgefüllt. Auf der anderen Seite der Rosenthaler Straße waren die Baulücken und Abrisse schon mit maßgeschneiderten Plattenbauten aufgefüllt, die heute eher ein Problem sind. Wie hat diese Stadt sich verändert. Wahnsinn.

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28.3.

In die Sonne blinzeln. Einmal quer durch das Wolkenkuckucksheim feudeln. Pixel schubsen.
Abends dann Leseprobe mit einer Schauspielerin. Wir lasen Anouilh, den „Brief an ein junges Mädchen, das Schauspielerin werden möchte“ und einen Auszug aus „Besuch im Schloß“, zu Anfang dachte ich mir: Gott, was für olle Kamellen! und dann mußte ich mich revidieren. Sprachlich geschliffen, elegant, unglaublich witzig und immer wieder auf dem Punkt. Eine schöne Abwechslung, wenn man zu viel amerikanische Romane gelesen hat und irgendwann von deren Groteske und Obszönität gelangweilt ist.
Ein privates (Amts-)projekt steht kurz vor dem Abschluß. Grauenvoller Papierkram, seitenlang, der nur mit der Hand auszufüllen ist. Aber wenn das durch ist, laufen die nächsten Jahre in geordneten Bahnen.

BTW ich amüsiere mich ungeheuer über Mme Modestes Aufzeichnungen aus dem Mutterdasein. Sie schreibt genau das auf, was mir vor 25 Jahren ungehörig und unnormal erschien. Ich wollte einfach nicht zum Muttermonster mutieren, obwohl ich dieses kleine Bündel Kind rechtschaffen und aus tiefstem Herzen liebte. Aber dies expressiv und flächendeckend auszudrücken und auszuleben, fehlte mir wohl ein Gen. Ich habe es mitunter, vor allem wenn meine vollkommen ätzend herummutternde Freundin, die 10 Wochen später niederkam, anwesend war, durch reife schauspielerische Leistung ersetzt.

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27.3.

Keine besonderen Vorkommnisse. Außer dem Beginn des Versuchs, mal nicht die Hosen passend zum Bauchumfang neu zu kaufen oder im Gummizug-H4-Dress rumzuhocken, sondern demnächst wieder in die Klamotten reinzupassen, die im hinteren Zimmer noch die Kisten füllen. Außerdem mögen meine Gelenke den Rucksack, den ich täglich mit mir herumschleppe, immer weniger. BTW. Ich finde es gut, diese Signale recht früh zu bekommen, bei 15 Kilo und nicht bei 30-40. Genauso wie ich den Raucherhusten auch schon bei 5 Zigaretten am Tag bekam.
Die Reaktion meines Körpers war interessant. 24 Stunden Verständnislosigkeit und Panik. Magenschmerzen vor Hunger, Herzklopfen, Unruhe, Blutdruckkapriolen. Ich sagte mir schon: Na prima! Wenn das so weitergeht! und vermutete irgendeine hormonelle Intrige dahinter. Aber dann war Ruhe. Mal schauen, wie lange.
Außer Pixelschubsereien passierte ansonsten nicht viel und es gelang mir, die Wohnungs-Putzaktion noch einen weiteren Tag aufzuschieben.

Frau Kaltmamsells Nachdenklichkeit zum Thema Introverts beschäftigte mich sehr, bin ich das doch ebenfalls. Irgendwann habe ich es einfach aufgegeben, so zu tun, als wäre ich auch kontaktfreudig und offen. (Schwierige Sache, es gab Networking-Empfänge, die hab ich auf dem Klo versteckt zugebracht, damit keiner sieht, daß ich mich allein, die Leute beobachtend, viel wohler fühle.)
Ich kenne drei Zustände von Introvertiertheit:

Hieronymus im Gehäus

Melancholia, ebenfalls Dürer, wenn auch heute als Begriff negativ besetzt

Katze auf dem Schrank

Fisch im Aquarium

Letztes ist eindeutig die am wenigsten schöne Existenz, weil damit verbunden ist, daß sich alle anderen amüsieren und ich nur zusehe. Die drei oberen Existenzzustände sind dagegen himmlisch. Einmal ungehemmt denken in sicherem Schutz, einmal sinnieren in offener Landschaft, zum nächsten Flug bereit und einmal alles sehen, aber nicht gesehen werden und nur Kontakt aufnehmen, wenn mir danach ist.
Ich habe in meinem Leben oft Kommunikatoren an meiner Seite gehabt, das hat mir viel Energie erspart und manche Kontakte erst möglich gemacht. Und es gibt das Internet. Für Introverts, wie viele schon feststellten, ein Segen. Viele schütteln den Kopf, sagen „Pseudokontakte“ und begreifen nicht, daß Leute wie ich aus einer Kneipe nur genervt und geschlaucht herausgehen, während sie drei neue Verabredungen haben. Die Belastbarkeit und Authentizität von Kontakten über das Internet ist enorm, wenn man die Menschen nicht mit dem großen Kescher fängt.
Partnerschaft ist wichtig für mich. Ich brauche eine Weile, bis ich mich einlassen kann. Aber zu wissen, daß da ein sicherer Kontaktpol ist, den ich nicht erst aufsuchen oder auf Bereitschaft prüfen muß, ist existenziell wichtig für mich. Gleiches biete ich auch. Es könnte nämlich sonst sein, daß ich garnicht mehr aus dem Gehäuse rausfinde. (Komische Art, über die Liebe nachzudenken.)
Manchmal brauche ich es, ins wahre Leben einzutauchen. Mein Taucheranzug sind Kleid, Schühchen, Mantel, Schminke, Frisur. Ein guter Abend mit Freunden ist elektrisierend und inspiriert mich ungemein, Kino, Konzerte und Oper genauso. Noch lieber sind mir die Zweierbegegnungen, vertraute Gespräche. Die Leute bei Großveranstaltungen reihenweise klar machen, das sollen andere.
Ich habe ewig nicht begriffen, daß ich keinen Schaden habe, habe ich mich doch in einer Branche bewegt, wo Extroverts die Regel sind, sondern einfach anders bin. Daß es wichtig für mich ist, allein zu sein, um mich zu regenerieren. Vielleicht haben die letzten Jahre deshalb auch so viel Kraft gekostet: Job in einer Extrovert-Branche, Branche in der Krise, noch mehr Extrovert-Fähigkeiten wichtig, Partnerschaft mit einem extremen Extrovert (der dafür kompletten, tageweisen Rückzug in seine Wohnung brauchte, was für mich wiederum extrem problematisch war), irgendwann Knall-Krach-Peng. Man sammelt ja sonst keine Erfahrungen…
Jetzt ist das alles noch im Neuaufbau, aber diesmal ohne Provisorien, sondern mit Raum an den richtigen Stellen.

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